Wellenreiter werden mehr und mehr zu internationalen Aktivisten. Soziale Ambitionen entwickeln sich zum festen Bestandteil der Surfer-Szene.
Social Surfer: Wellenreiten mit Mission
“We are all Radioactive“ ist ein mehrteiliger Dokumentarfilm über den Aufbau eines im März 2011 vom Tsunami zerstörten Küstenortes. Hinter dem Filmprojekt stehen die in San Francisco lebende Journalistin und Bloggerin Lisa Katayana sowie der Regisseur der TED-Talks, Jason Wishnow. Gemeinsam mit den engagierten Surfern vor Ort wurde gefilmt und produziert. Finanziert wurde der Film über Crowdfunding, wobei die größten Finanzspritzen von lokalen Entrepreneuren, Kleinstunternehmern und Surfern aus der Region Tohoku stammen. Die Surfer begründen ihr Engagement unter anderem damit, dass sie am deutlichsten an der Küste und im Wasser die gravierenden Auswirkungen der Dreifachkatastrophe mitbekommen.
In kaum einer Sportart ist der Community-Gedanke derart verbreitet wie bei den Wellenreitern. Die Definition über den Sport geht so weit, dass In kaum einer Sportart ist der Community-Gedanke derart verbreitet wie bei den Wellenreitern er Anwälte, Mütter, Gläubige oder Mediziner verbindet und auch jenseits von Wellen und Strand zusammenführt. Surfer merken durch ihren Sport als Erste die Veränderungen, die zum Beispiel der Klimawandel bewirkt, durch die Nähe zur Natur sind sie sensibel für andere Lebewesen. Der Sport ist mehr als Freizeit, sondern Lebensstil - und beinhaltet mehr und mehr das Engagement der Surfer für Natur und Menschen. Soziale Ambitionen verbreiten sich daher zunehmend in der Szene. Es gibt zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Kampagnen, etwa zur Umweltaufklärung, die der Surfer-Szene entspringen.
Die Social Surfer sind ein internationales Phänomen. Die Community der Surfer kennt keine Grenzen – auch wenn die deutschsprachigen Länder nicht die ersten sind, die einem beim Thema Wellenreiten einfallen. Doch auch weit jenseits des deutschen Surf-Hotspots Sylt können hierzulande Wellen geritten werden. Neben Indoor-Anlagen wie der „Endless Peak“-Surfanlage im Bad Tölzer „Alpamare“ hat ausgerechnet in München das Riversurfen in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Mehrere Generationen surfen tagsüber wie nachts, sommers wie winters auf der berühmten Eisbachwelle. Auch Nürnberg steht kurz davor, eine künstliche Welle zu bekommen. Durch die in den letzten Jahren aufgekommene Sportart Stand-up-Paddling ist die Surf-Community gar nicht länger auf Wellen oder Wind angewiesen. In den letzten Jahren ist die Surfer-Community stark gewachsen – und mit ihr das zugrundeliegende Bewusstsein für Naturund Umweltschutz.
Die Schubkulturellen
Zwei Entwicklungen treffen bei dieser Nischengruppe aufeinander: zum einen die weltweit wachsende, fest etablierte Surfer- Community, zum anderen das steigende Interesse in der Gesellschaft, sich in NGOs und ähnlichen Umfeldern sozial zu engagieren. Eine Fokuszone scheint besonders der Reisemarkt zu sein. Vor allem für die Tourismusbranche existiert im Orbit der Social Surfer viel Potenzial. Denn sowohl der Surftourismus hat in den letzten Jahren angezogen als auch der Volunteer-Travel- Market. Das ist nicht ohne Stolperfallen. Denn die neue Beliebtheit des Sports macht Surftourismus zu Gefahr und Chance für die Küstenregionen zugleich. Ein Grund mehr für Social Surfer, sich für Natur und Lebensraum sozial, politisch und ökologisch einzusetzen.
Beispiel Portugal: 2000 eröffnete in Ericeira in Portugal die erste Surfschule, zwölf Jahre später sind es bereits 40. Der Ort hat sich zum internationalen Hotspot der Szene gemausert – mit Konsequenzen für Natur und Gesellschaft. Social Surfer erklärten den Ort 2011 daher kurzerhand zum ersten europäischen „World-Surf-Reservat“. Die Auszeichnung der vor vier Jahren gegründeten Initiative, die aus NGOs, Surfern, Wissenschaftlern und Umweltschützern besteht, mahnt Küstenbewohner und Touristen zum umsichtigen Umgang mit Natur und Ressourcen. Die Stadt Ericeira springt drauf an und wirbt mit dem Titel des World Surfing Reserve in Broschüren.
Die Putscher
Welchen Einfluss die Surfer-Community auf die Gesellschaft hat, lässt sich am französischen Atlantikstädtchen Biarritz beobachten. Einst Best-Ager-Winterquartier, dann lange Zeit fest in Hand der Surfer-Dudes, wird die Gegend heute als „French California“ gehandelt, wo selbst Madonna auftaucht oder Monica Belluci. Die französisch-amerikanische Profi-Surferin Lee-Ann Curren ist hier zuhause, selbstverständlich sozial engagiert. Gemeinsam mit dem in einer brasilianischen Favela aufgewachsenen Profi Andre Silva hat sie die Organisation Surf and Hope gegründet, die Kindern aus Elendsvierteln hilft. Wenn sie zur Schule gehen, lesen und schreiben lernen, dürfen sie Surfboards ausleihen und an den Yogaklassen teilnehmen.
Noch weitaus avantgardistischer und aufrührerischer ist Ishita Malaviya. Die 24-jährige Inderin ist die erste Frau des Landes, die surft. Und nicht nur das: 2012 hat sie den Shaka Surf Club eröffnet, wo sie nicht nur den Jungs das Wellenreiten beibringt, sondern Anfang 2013 auch ihre erste Schülerin unterrichten konnte. Wellen-Vorreiterinnen: In Ländern wie Indien oder Iran sind surfende Frauen ein revolutionäres Statement Für Indien ist diese Form der Frauenbewegung revolutionär, denn Frauen baden oder schwimmen in diesem Land nicht – geschweige denn, dass sie surfen. Ishita Malaviya musste selbst erst Traditionen und Vorurteile bei ihren Lehrern, den Surfing Swamis, überwinden, bevor sie ihr den Umgang mit dem Brett zeigten. Ein ähnliches Ziel hatte auch die viermalige irische Surfmeisterin Easkey Britton, als sie mit der französischen Filmemacherin Marion Poizeau den weiten Weg in den Iran auf sich nahm, um im Rahmen eines Filmprojekts Frauen dort für das Wellenreiten zu begeistern. Mit ihrem „Lycra Hijab“ bekleidet, war die 26-Jährige die erste Frau, die jemals in diesen Gewässern gesurft ist und so zeigte, dass der Sport nicht nur für die Oberschicht und Männer etwas ist.
Trend mit Potenzial
Das Thema Wellenreiten ist aus dem ersten Hype heraus, doch mittlerweile fest im Mainstream etabliert. Laut eines Reports von Global Industry Analysts wird der globale Surf-Markt 2017 ein Volumen von 13,2 Milliarden US-Dollar haben. Die Surf-Industrie, egal ob aus dem Bereich Mode, Tourismus, Marketing oder Medien, muss die Social Surfer fokussieren. Die nachhaltig engagierten Surfer, die es in die Medien schaffen, kommen derzeit eher selten aus Deutschland, was nicht heißt, dass die Social Surfer hierzulande nicht aktiv sind. Sie bilden eine verschworene Gemeinschaft, die über den lokalen Gedanken längst hinausgeht. Die Surfer-Community ist Vorreiter und Wegbereiter für soziale und umweltpolitische Ideen. Durch den Neo-Nature-Trend sind die Grundbedingungen gut, dass das Social-Surfer-Phänomen andere Sportlebensstile infiziert.