Die Startup-Szene führt vor Augen, was Organisationen in Zeiten der Netzwerkökonomie erfolgreich macht: Im Zentrum steht eine kulturelle Offenheit.
Von Lena Schiller Clausen (02/2017)
Die Startup-Szene führt vor Augen, was Organisationen in Zeiten der Netzwerkökonomie erfolgreich macht: Im Zentrum steht eine kulturelle Offenheit.
Von Lena Schiller Clausen (02/2017)
Noch viel zu oft erntet die deutsche Startup-Szene von etablierten Unternehmen nur ein liebevoll-herablassendes Lächeln: zu irrelevant, zu verspielt, zu selbstreferenziell. Gründer, die mit ihren MacBooks in Cafés oder Startup-Hubs rumhängen und Abend für Abend zum nächsten Investoren-Event hetzen? Der Hype müsste doch langsam mal durch sein!
Tatsächlich aber steckt hinter der vermeintlichen Hipster-Kultur ein globales evolutionäres Prinzip der Organisation von Arbeit und Unternehmungen, das auch grundlegend für den digitalen Wandel ist. Denn Startups entpuppen sich zunehmend als die Forschungs- und Entwicklungsabteilung unserer Wirtschaft und produzieren dabei Phänomene, mit denen sich große Organisationen, die neue Märkte entdecken wollen oder müssen, dringend beschäftigen sollten.
Wer verstehen will, wie das Neue in die Welt kommt, findet die besten Antworten bei denjenigen Startups, die zunächst nicht mit riesigen finanziellen Mitteln ausgestattet sind. Als "lean Startups" müssen sie sehr schnell pragmatische, neue Lösungen finden, um sich in einem Markt zu etablieren, nach dessen Regeln sie eigentlich nicht existieren dürften.
Da ist zunächst einmal ihr Umgang mit dem Thema Hierarchie: Wo klassische Optimierung von Unternehmensprozessen an ihre Grenzen stößt und gleichzeitig die Emanzipation der Arbeitnehmer voranschreitet, etablieren Startups individualisierte neue Formen der Arbeit und der Zusammenarbeit: ohne dezidierten Chef und in stetig rotierenden Organisationsdiagrammen. Intern wie extern ersetzen sie lineare Strukturen durch weniger kontrollierbare Netzwerke. Die Verbindungen zu externen Partnern, Kunden und Kollegen werden nach vernetzten Prinzipien gestaltet: offen, vernetzt, demokratisch, antihierarchisch und dynamisch.
Startups öffnen sich an der Peripherie und nutzen die Vernetzungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter, um Veränderungen am Markt schneller zu spüren und agiler darauf reagieren zu können. Davon profitiert vor allem die wissensbasierte Wertschöpfung vieler Startups, deren finanziellen und personellen Ressourcen in der Regel sehr begrenzt sind. Sie können in Netzwerken das gesamte Weltwissen nutzen, das global geteilt, erweitert, strukturiert, gefeedbackt und zugleich allen anderen zugänglich gemacht wird. Ihre eigenen Wissensressourcen – vor allem das Wissen über unsere Zukunft – entwickeln sie in der menschlichen Interaktion weiter. Wer an diesem Austausch nicht offen teilnimmt, stößt schnell an seine eigenen Grenzen.
Die Karriere vieler Gründer und "lean Startups" begann mit der Idee, die Welt zu verbessern, einen Unterschied zu machen und Sinn zu stiften. Das langsame Implodieren traditioneller Makrostrukturen hinterlässt ein Vakuum am Markt, das junge Unternehmer durch ihre Agilität und Flexibilität für sich erobern. Hier finden sie den Raum, neue Standards zu setzen: durch alternative Produktionsmethoden, das Einbinden potenzieller Kunden in die Produktentwicklung und das Testen verschiedener Geschäftsmodelle.
Erfolgreiche Startups pendeln dabei immer zwischen den Extremen. Dem Trend, immer nur dem Neuen zu folgen, folgt der Gegentrend, den hart erarbeiteten Besitzstand zu wahren und zu optimieren. Unternehmen, die sich zukunftssicher aufstellen wollen, müssen sowohl vernetzt und flexibel als auch effizient agieren. Verbinden lässt sich dies am ehesten durch das selbstbewusste, ruhige Pendeln zwischen den vermeintlichen Gegensätzen der Effizienz und der Verspieltheit.
Das verlangt auch eine grundsätzliche kulturelle Offenheit: Wirkliche Innovationen entstehen an den Reibungsflächen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen und ihren Kulturen. Die Entstehung und Entwicklung des Silicon Valleys ist das mächtigste Beispiel dafür, was passiert, wenn etablierte Player wie Großkonzerne oder das Militär ins Gespräch kommen mit den Protagonisten der aktiven Hippie-Gegenkultur, die bis heute die Startup-Szene prägt.
Zum Weiterlesen: Giesa, Christoph und Schiller Clausen, Lena: New Business Order – Wie Startups Wirtschaft und Gesellschaft verändern, München, Hanser Verlag 2014.
Lena Schiller Clausen beschäftigt sich als Unternehmerin, Speakerin und Autorin mit den Mitgestaltungsmöglichkeiten unseres Fortschritts, mit der Digitalisierung und der Zukunft der Arbeit. Als Mitgründerin und ehemalige Geschäftsführerin des Coworking Spaces "betahaus Hamburg" schuf sie eine bedeutende Schnittstelle zwischen Creative Class, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Unternehmen. In ihrem Buch "New Business Order" diskutiert sie gemeinsam mit Christoph Giesa die Frage, wie Startups Wirtschaft und Gesellschaft verändern.