Das Auto ist in der Statushierarchie nach unten gerückt. Zukunftsforscher und Automobilexperte Mark Morrison über die neuen Statuspotenziale des Autos als erweiterter Lebensraum.
„Zeit ist die neue Luxuseinheit“

Trend Update: Herr Morrison, das Auto galt lange als klassisches Statussymbol – wie verändert sich das zurzeit?
Mark Morrison: Das Auto wird nicht mehr primär als Objekt zur Statusinszenierung genutzt. Status wird heute über andere Dimensionen der Selbstinszenierung abgedeckt, etwa über das Ernährungsverhalten, sportliche Aktivitäten, Mode – also den Lebensstil. Das Auto ist in dieser Inszenierungshierarchie nach unten gerückt. Es wird immer mehr zu einem digitalen Partner, der Angebote macht, zu einem "partnerschaftlichen Mobilitätsermöglicher" – und damit auch zum entscheidenden Baustein in einer großen Mobilitätsangebotsmatrix. Im Grunde wandelt sich das Auto zu einem fahrenden Teil des Internets: ein erweiterter Wohn- und Lebensraum, dessen Innenraum-Oberflächen als Informationsquelle dienen. Wir werden eine Transformation des Autos zu einem persönlicheren, sozialeren Ort erleben.
Wie werden Mobilität und Status künftig verknüpft sein?
Auch wenn das Automobil in der Statuspyramide der Selbstinszenierung nach unten sinkt, wird es dennoch eine Abstufung der Effizienz bzw. Serviceumfänge bei den verschiedenen Marken geben. Sprich: Ein Mercedes-Benz wird Premium-Services, maximalen Nutzerkomfort bei der Vernetzung und elaboriertes Schnittstellendesign mit anderen Verkehrsmitteln bieten. Die neue Luxuseinheit heißt dabei Zeit: Wer am meisten Zeit "verschafft" bzw. bei der Mobilitätsplanung zeitlich am wenigsten vom Nutzer einfordert – im Sinne der Kuratierung – ist Premium. Ein Skoda wird dann zum Beispiel nur ein gewisses Basis-Set an Komfortservices bieten, Zusatzoptionen kosten Geld. Die Digitalisierung des Autos hält also die Differenzierung in Premium und Basic weiterhin aufrecht, sodass ein Mercedes immer noch eher zur Demonstration eines höheren Status dient: Die Services sind dort umfassender und effizienter – und kosten mehr.
Bei der Demonstration von sozialem Status wird der Faktor "höher, schneller, weiter" beim Thema Mobilität generell an Relevanz verlieren. Hoher Status definiert sich nicht mehr über das Sammeln von Flugmeilen oder Membercards in den teuersten Hotels, sondern vielmehr über die Selbstkompetenz, kluge Mobilitätsketten zu wählen – und auch auf Mobilität bewusst zu verzichten. Der Megatrend Mobilität geht somit in die Rekursionsschleife, auch durch die Möglichkeiten der Digitalisierung, etwa durch Reisen mit Oculus-Rift-Datenbrillen.
Stichwort "Nutzen statt Besitzen": Wird der Zugang zu smarten Sharing-Möglichkeiten das Ownership-Modell als Statussymbol ablösen?
Der Zugang zu Sharing-Systemen ist insbesondere in urbanen Zentren eine kluge Alternative im Gesamtökosystem Mobilität. Autos werden in diesem Kontext immer mehr zu persönlichen Begleitern. Sie werden "von innen heraus" durch Technologie stärker emotionalisiert bzw. bauen eine stärkere Bindung zum Besitzer auf, nach dem Motto "Mein Auto, mein Mobilitätsbuddy". Allerdings werden die Autos dabei künftig viel öfter ausgetauscht, sie entwickeln sich quasi zu Smartphones auf Rädern. Wir sehen bereits heute, dass die Leute kein schlechtes Gewissen haben, ein technisches Objekt schnell auszutauschen und sich jedes Jahr ein neues Device zu holen.
Ist die nahtlose Vernetzung im Internet der Dinge also das mobile Statussymbol von morgen?
Ja, es ist sicher ein ganz zentrales Element. Entscheidend sind die Themen Zeitgewinn und Kuratierung im Sinne eines persönlichen Mobilitätsbegleiters, basierend auf dem Wissen über die Nutzungsgewohnheiten des Fahrers. Diejenigen Unternehmen bzw. Plattformen, die die besten Übergänge orchestrieren und mühelos Teil der Nutzer-Lebenswelten werden können, werden zu den Gewinnern zählen.
Welche Rolle spielen umweltfreundliche Antriebstechnologien für das Statusdenken der Zukunft? Wandeln sich PS-Boliden im Zeichen des Megatrends Neo-Ökologie zum Anti-Statussymbol?
Umweltfreundliche Antriebe sind die logische Entwicklung – zunächst in Ballungsräumen und ganz losgelöst von jeglichem Statusdenken. Wer hat schon Lust, kaum atmen zu können, wie es in einigen asiatischen Megacities der Fall ist? Sobald sich E-Mobilität flächendeckender durchsetzt, kann man sich nicht mehr individuell abgrenzen, indem man einen alternativen Antrieb fährt. Es wird in einer ersten Phase also darauf ankommen welches das schnellste E-Auto ist oder das E-Auto mit dem besten Vernetzungsangebot, mit dem schnellstem Aufladesystem. Diese Faktoren werden zu einem gewissen Grad Status repräsentieren. Benzinbetriebene PS-Boliden werden dann zu einer Randerscheinung: Gehegt und gepflegt durch Mobilitätsconnaisseure, dienen sie in gewissen Insiderkontexten weiterhin als Statussymbol.
Das Interview führte Christian Schuldt