Storytelling: Was erzählt wird, zählt

Was Kulturen und Erinnerungen prägt, gilt auch für ökonomische Kontexte: Gute Geschichten fesseln das Publikum. Eine Story über die Macht der Story.

Von David Mock (08/2015)

"Königstochter heiratet Prinzen nach 100 Jahren Tiefschlaf hinter dichter Rosenhecke!" Zugegeben: Märchen wie Dornröschen einfach in einen Tweet pressen, geht nicht. Doch die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne eines Konsumenten liegt heute bei acht Sekunden – selbst ein Goldfisch schafft eine Sekunde mehr. So ist die Zeit zwar zu schnell geworden für Erzählungen, die mit "Es war einmal ..." beginnen. Aber selbst gute alte Geschichten funktionieren – mit der richtigen Übersetzung in die digitalisierte Welt.

Wie das gehen kann, hat die Agenturgruppe FCB Global mit dem YouTube-Video "Cinderella 2.0" gezeigt: Aschenputtel wird da zu einem unbekannten Gesangstalent, das bei einem Konzert die Bühne erklimmt und einen seiner Sneaker in die Menge schmeißt. Es beginnt eine hastig-kurzatmige Reise der Geschichte durch alle Social-Media-Kanäle. Am Ende ist die Unbekannte ein Star und der Schuh ein Verkaufshit. Der Clip erklärt das Thema "Transmedia Storytelling", wie es sich gehört: mit einer Geschichte. Der einleitende Satz ist die ganze Wahrheit: "Menschen haben schon immer Geschichten gebraucht".

Unser Ur-Bedürfnis nach guten Geschichten hat sich nicht geändert. Das hat viel mit kindlicher Prägung zu tun. Selbst der Generation Z hat Mutti noch keinen Tweet oder eine Facebook-Eintrag vor dem Schlafengehen vorgelesen. Nein, es war eine Geschichte. Also wollen wir sie immer wieder hören, lesen, sehen, erleben.

Die gute Story hält

Erfolgreiche Werbung und Marktkommunikation ist in Zukunft ein gutes Gespräch mit dem Markt – offen, unterhaltsam, relevant für das Gegenüber. Und da zählt die beste Geschichte mehr als das größte Budget. Hier gilt das Prinzip des legendären "Drei-Wetter-Taft"-Spots auch für das transmediale Erzählen: Egal, wie die Bedingungen auf dem jeweiligen Kanal sind – die gute Story hält.

Der Hygieneartikel-Hersteller Always hat zwar 2015 in einen Super-Bowl-Spot investiert, aber große Wirksamkeit erreichte man zuvor und danach im Netz: Der YouTube-Clip "Like a girl" von 2014 hat bis heute mehr als 58 Mio. Clicks geschafft. Entscheidend: Always löste sich von seinem Produkt und erzählte eine ebenso relevante wie berührende Geschichte für die Zielgruppe der Teenager auf ihrer schwierigen Suche nach sich selbst. Botschaft: Sei selbstbewusst und stark, pfeif auf die Klischees. Wie ein Mädchen zu sein, das hat nichts Schwächlich-Tussihaftes. Ganz im Gegenteil.

Auf den Trend zum Native Advertising, bei dem die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung verschwimmen, setzt Netflix. Die "paid posts" zur Promotion der Erfolgsserie "Orange ist he new black" in der "New York Times" sind alles andere als bezahlte Jubelartikel: Kritischer Journalismus mit bewegenden Geschichten über Frauen hinter Gittern, erzählt in Wort und bewegtem Bild. Davon profitieren nicht nur die Serienmacher. Auch die Zeitung zeigt: Selbst wenn Geld fließt, bleiben wir eine quality brand für guten Journalismus: Unser Produkt sind gute Geschichten.

Eine amüsant-überdrehte Variation des Geschichtenerzählens abseits klassischer Medienkanäle wählt der Tiroler Alpen-Abenteuerpark "Area47": Der "Extrempraktikant" verdient das Adelsprädikat "abgefahrene Story". Konkret geht das so: Wer zu feige oder zu beschäftigt ist, sich selbst die diversen Extremsport-Angebote anzutun, beauftragt einen Praktikanten, es an seiner Stelle zu tun. Ein junger Mann rückt dann aus und springt, rutscht und taucht – alles kamerabegleitet. Der "Auftraggeber" bekommt das Video zur exklusiven Nutzung. Mit hoher Garantie, dass es in sozialen Netzwerken geteilt wird - als "Das musst Du Dir ansehen"-Geschichte unter Freunden. Und gibt es eine wertvollere Währung für ein Produkt als Aufmerksamkeit, die man der Story eines vertrauten Menschen schenkt? Eben.

Das Rezept für gute Erzähler

Noch einmal zurück zum Tweet als Ur-Meter der Kommunikation in der gehetzten Gesellschaft. Gute Geschichten haben alle die gleichen Zutaten: Eine zündende Idee, einen guten Erzählbogen, einen großen Schuss Emotion oder Humor. Oft gilt: Tiefe geht vor Tempo. Wenn die Geschichte gut ist und uns berührt, dann denken wir an die Gute Nacht von damals. Dann pfeifen wir auf die acht Sekunden und sind dabei.

Schon Albert Einstein sagte: "Macht alles so einfach wie möglich, aber nicht einfacher". Good Stories, true Stories, well told – that’s all.  

Über den Autor

David Mock war Journalist und Texter, arbeitete in Europaparlament, Finanzministerium und Bundeskanzleramt und war als Senior Consultant für eine internationale Agenturgruppe tätig. Zuletzt beriet er das Top-Management der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), u.a. als Leiter des Trend- und Research-Teams und Senior Advisor des Konzernvorstands. Ab September unterstützt er als Analyst, Autor und Berater das Zukunftsinstitut.

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