Future War: 8 Szenarios über den Ausgang eines unvorhersehbaren Krieges

Wie wird der Ukraine-Krieg „ausgehen“? Kann er überhaupt irgendwie „ausgehen“ – im Sinne eines Friedens, eines neuen Normalzustands? Oder entsteht aus diesem schrecklichen Krieg ein endloser Negativ-Prozess, ein schleichender Dritter Weltkrieg, ein Strudel, in den immer mehr Stabilität hineingerissen wird? – Matthias Horx mit dem Versuch einer Einordnung.


Für die systemische Zukunftsforschung ist dieser Konflikt eine extrem harte Nuss. Kriege wie dieser haben keinen klaren kausalen Anlass, an dem entlang sich Probabilitäten (Wahrscheinlichkeiten) messen lassen. Irrationalität, Paranoia, Interessen, gehäufte Zufälle, aber auch sogenannte Super-Meme (kulturelle Groß-Signaturen) spielen eine Rolle. Die kausalen Verzweigungen, die zu diesem „Event“ führten, reichen weit und tief in die Vergangenheit.

Kriege erzeugen zunächst negative Symmetrien, Kettenreaktionen, in denen Handlung auf Handlung, Eskalation auf Eskalation trifft, bis es zur Entropie, zur Zerstörung kommt. Auffällig an diesem Krieg ist allerdings, dass er Züge von systemischer Asymmetrie beinhaltet. Indem „der Westen“ sich militärisch nicht voll engagiert, sondern vorsichtig agiert, wird der Aufschaukelungs-Prozess gedämpft. Es entsteht eine neue Logik, in der Diplomatie, öffentliche Meinung, informelle und wirtschaftliche Weltverflechtungen eine größere Rolle gegen die Logik der Konfrontation spielen könnten. Der Krieg erzeugt Gegenreaktionen, zum Beispiel im Entstehen einer neuen Friedensbewegung und einer Vereinigung Europas. Das macht einerseits eine Prognose noch schwieriger (weil noch mehr Faktoren eine Rolle spielen). Andererseits könnte sich hier ein „Neues Spiel“, eine veränderte Grammatik der Konfliktbewältigung entwickeln, von dem wir für die Zukunft viel lernen können.

Für hyperkomplexe Geschehnisse wie den Ukraine-Krieg eignet sich die Technik der Szenarios besser als die der Prognosen. Szenarios sind „kontingente Erzählungen“, die einzelne Stränge von Wahrscheinlichkeiten bündeln, ohne sich auf einen Hauptpfad festzulegen. Sie bilden eine Art „Möglichkeitsschwarm“, der höhere Komplexitäten abzubilden versucht.

Es ist wichtig, zu verstehen, dass Szenarios keine Prognosen sind. Während Prognosen mit Ausschluss von Unsicherheit arbeiten (die Bayes-Methode), sind Szenarios Tools zum Umgang mit Unsicherheit. Prognosen verengen den Zukunftsweg. Szenarios öffnen verschiedene Möglichkeitsräume. Szenarios arbeiten narrativ – mit poetisch klingenden Namen – sie nutzen auch das Unbewusste, das in sprachlichen Konfigurationen angesprochen wird, zur Beurteilung hyperkomplexer Situationen.

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Ebenso wenig verwechseln darf man Plausibilität mit Wahrscheinlichkeit. Das China-Szenario („Die Konfuzius-Lösung“) ist auf der systemischen Ebene hoch plausibel, es entspricht der Theorie des Neuen Realismus, die derzeit in strategischen Think Tanks hoch gehandelt wird. Dieses Modell von Weltkonflikten stammt ursprünglich von Kenneth Waltz, der bereits in den 50er-Jahren ein dynamisches Modell für Weltkonflikte entwickelte. Kriege und Konflikte entstehen in diesem Modell durch drei Faktoren:

  • Individuen (in diesem Falle Putin)
  • Verfasstheiten von Gesellschaften (Werte, Normen, Organisationsformen, „Kultur“)
  • internationale Beziehungen

Wenn es stimmt, dass wir auf eine neue globale Block-Konfrontation hinsteuern, in der es wieder um Einfluss-Sphären und imperiale Konflikte geht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass China, als neuer Hegemon, versuchen würde, diese Machtordnung zu strukturieren. China spielt in der Ukraine die eigentliche Schlüsselrolle, weil die Möglichkeiten Putins, politisch zu überleben, direkt von China abhängen (und Chinas Perspektiven wiederum von den wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem „Westen“).

Diese Szenarios sind mehrstufig, sie entfalten sich über mehrere Ebenen. Dabei wird sich nicht eines von ihnen vollständig realisieren. Die kommende Realität wird vielmehr aus einer Koppelung oder Mischung mehrerer Szenarios entstehen.

Szenario 1: Bloodlands

Das russische Dauer-Vietnam

In „Bloodlands“, einem Buch des Historikers Timothy Snyder, wird beschrieben, wie die ukrainischen Ebenen immer wieder zum historischen Schauplatz von Pogromen, Vertreibungen und unfassbarer Gewalt wurden. Die Geschichte setzt sich nun in einer Wiederholung dieses Musters fort. Der Konflikt verlängert sich in einen endlosen Schwelbrand, einen Zustand der Agonie. Die Ukraine wird in diesem Szenario zu einem russischen Vietnam – über viele Jahre herrscht dort ein zäher, blutiger Guerillakrieg apokalyptischen Ausmaßes.

Kämpfe flammen immer wieder auf, auch dort, wo die russische Armee alles in Trümmer verwandelt hat. Das Land ist zu groß, um es zu erobern. Keine Seite kann nachgeben, keine diplomatische Lösung wird gefunden, und die Ukrainer (und ihre Helfer) entwickeln immer neue raffinierte Guerilla-Taktiken in den Trümmern. Gegen eine im Grunde ausgelaugte und demoralisierte, aber mit technischer Gewalt eskalierende russische Armee gibt es keinen Sieg, aber die fremde Armee kann auch nicht siegen. Der Krieg endet erst nach vielen Jahren apokalyptischer Erschöpfung mit dem Tod Putins.

Szenario 2: Heroische Kapitulation

Die Helden-Erzählung

Kurz vor der endgültigen Einnahme von Kiew in einer blutigen Schlacht wird Wolodymyr Selenskyj mit einer kleinen Gruppe von Vertrauten aus der Stadt ausgeflogen (ob von Franzosen mit heimlicher Duldung Putins oder von einem deutschen/amerikanischen Spezialkommando, kann nie ganz geklärt werden). Selenskyj gründet eine Exilregierung in (z. B.) Paris. Die restlichen ukrainischen Streitkräfte kapitulieren. Die Ukraine wird vollständig besetzt und gerät in eine grausame Okkupations-Zeit, die viele Jahre andauern wird. Die sogenannte „Alternativregierung“ erweist sich schnell als Militärkomitee von Putins Gnaden.

Dieses Szenario funktioniert auch, wenn Selenskyj getötet oder gefangen genommen wird, oder wenn er ehrenwert kapituliert. Aus dem Heroismus der Niederlage entsteht ein Mythos mit vereinender Wirkung gegen den Aggressor. Durch die Okkupation wird verdeutlicht, dass das Putin-Regime nichts anderes ist als ein imperialistischer Terror-Staat. Die Weltöffentlichkeit schließt sich deutlich gegen Russland zusammen und bildet mehr und mehr eine globale antirussische Allianz. Auch China wendet sich Stück für Stück ab und aus Russland wird ein isoliertes kontinentales Nordkorea, mit immer hysterischeren Darstellungen des Diktators (und seiner Nachfolger).

Szenario 3: Hinausschleichende Drift

... oder: Der plötzliche Friede – Das Joker-Szenario 1

„Hinausschleichende Drift“ benennt einen evolutionären Prozess, in dem sich die Dinge plötzlich seitwärts statt linear bewegen – und sich das „framing“ eines bestimmten Ereignisses verändert. Ein Beispiel ist die Corona-Entwicklung: Als das Virus anfing, in höhere Ansteckungsquoten, aber geringere Tödlichkeit zu mutieren, veränderten sich die Spielregeln der Pandemie radikal – und machten sie zu einem völlig anderen Geschehen.

Dieses „Hinausschleichen“ könnte so aussehen: Nach einigen Gewaltexzessen fährt sich der Ukraine-Krieg auf einer systemischen Patt-Ebene fest. Verhandlungen beginnen und werden immer wieder abgebrochen, aber die ganz große Eskalation bleibt aus. Es entsteht das, was man in der Spieltheorie ein „Nash-Gleichgewicht“ nennt (nach dem Spieltheoretiker John Nash). Eine Situation, in der keine der Parteien mehr Kraft für oder Interesse an Veränderung hat. Putin scheut den Übergang zu echten Massenvernichtungen. Es gelingt der humanitären Koalition aus internationalen NGOs und vielen engagierten Ländern, „safe zones“ in der Ukraine zu etablieren, in denen die Bevölkerung überleben kann. Der heiße Konflikt wird mithilfe von allen möglichen Vermittlern verhandelt, und es kommt zu einem Agreement, aus dem sich in einem langen und zähen Prozess ein russischer Teil-Rückzug, die Aufteilung der Ukraine und eine Neutralitäts-Lösung entwickelt, die beide Seiten als Sieg oder zumindest nicht als Niederlage verkaufen können.

Szenario 4: Die Konfuzius-Lösung

Der „New Global Contract“ durch globalisierte Welt-Diplomatie

Durch den Ukraine-Krieg entwickelt sich eine gewaltige neue globale Friedensbewegung, die auch ökologische und Menschenrechtsthemen aufgreift. Gleichzeitig entwickeln sich rund um den Globus intensive diplomatische Tätigkeiten, die auf eine neue Weltordnung abzielen.

Während der Krieg Jahre andauert, entscheidet sich China schließlich zu agieren, weil es die Folgen der Weltwirtschaftskrise und einen ernsthaften Image-Verlust durch seinen Russland-Pakt fürchtet. Auf einer von China einberufenen weltweiten Friedenskonferenz handeln die Weltorganisationen einen „New Global Treaty“ aus, der das Verhältnis zwischen den Staaten und Staatenblöcken neu regelt. Ähnlich dem westfälischen oder napoleonischen Frieden (Wiener Kongress) wird eine neue globale Machtverteilung beschlossen und durch eine reformierte UN-Charta gesichert.

Die Ukraine wird unter eine UNO-Verwaltung gestellt und militärisch neutralisiert. Sie erhält eine provisorische Regierung, die sich nach dem Vorbild Bosnien-Herzegowinas aus internationalen Experten und Volksgruppen-Vertretern zusammensetzt. Amerika, Europa und China finanzieren den Wiederaufbau gemeinsam. Russland zieht sich in eine zunehmende Isolation zurück, aber nach dem Tod Putins kommt es zu langsamen Öffnungen und Reformen.

Szenario 5: Putins Fall

Das Joker-Szenario 2

Etwas Unerwartetes geschieht im Kreml. Lange bleibt unklar, was eigentlich passiert ist, denn es gibt längst keine Wahrheit mehr, auf die man sich beziehen könnte. Putin erleidet einen tödlichen Infarkt (heißt es). Oder er wird vergiftet (behaupten manche). Ein Militärkommando übernimmt, welches das Attentat dem Westen anlastet. Oder es heißt, dass Putin sich in den Ural zurückgezogen hat und „sich anderen Aufgaben zuwendet.

Mehrere Wochen weiß man nicht, ob er noch „da“ ist oder nicht, weil ständig Bilder und Filme von ihm gesendet werden, die sich aber später als „deep fakes“ herausstellen, als Computersimulationen. Oder als veraltete Aufnahmen, die „getunt“ worden sind. Im Kreml entsteht Chaos, mehrere Nachfolger Putins verschwinden, Gruppen von Geheimdienstlern, Generälen, die mit verschiedenen Oligarchen verbunden sind, kämpfen um die Macht, die Kriegsgeschehnisse weiten sich in Vasallenstaaten aus, es kommt teilweise zu Erhebungen und Abspaltungen in Teilen „Großrusslands“, die allerdings – wie so oft in der russischen Geschichte – blutig niedergeschlagen werden. Das ukrainische Drama wiederholt sich auf der gesamten Fläche Russlands. Es wird gefährlich für die ganze Welt, aber am Ende ist es ein interner Konflikt Russlands.

Szenario 6: Finnlandisierung

Das Abschreckungs-Europa

Die Ukraine wird in einem monatelangen Zerstörungsprozess besetzt, ein großer Teil der Zivilbevölkerung – an die 15 Millionen Menschen – wird vertrieben. Europa verwandelt sich, nachdem Trump die nächste amerikanische Wahl gewinnt, in einen Front-Kontinent, der aber auf eigene atomare Abschreckung verzichtet und sich einem rein defensiven Militärkonzept zuwendet. Dieses Konzept der systemischen Territorialverteidigung basiert auf dem finnischen (oder auch schweizerischen) Modell der mobilisierbaren Groß-Reservistenarmee.

Grundlage ist eine Schulung jedes Bürgers und jeder Bürgerin ab 18 Jahren in Selbstverteidigung, Guerillakampf-Techniken und Überlebensstrategien, ergänzt durch eine eher kleine, aber durch Hochtechnisierung sehr effektive Profi-Armee. Diese hybride Breitenmilitarisierung soll dem Gegner klarmachen, dass jede Invasion durch massivsten territorialen Widerstand beantwortet wird. Eine Hightech-Grenzmauer wird quer durch Europa gebaut, eine Demarkationslinie, die immer wieder teilweise verschoben wird. Eine neue Abschreckungsära beginnt, ein superkalter Krieg mit gelegentlichem Aufflammen von Kampfhandlungen. Aber man gewöhnt sich daran, so wie sich Israel an einen alltäglichen Kriegsbedrohungszustand gewöhnt hat und dabei wirtschaftlich vital und innovativ bleibt.

Szenario 7: Die Welt auf der Kippe

In allerletzter Sekunde ...

Durch Missverständnisse, Provokationen, Exzesse der Gewalt (Giftgaseinsatz in der Ukraine) und den eskalierenden Wahn Putins weiten sich Kampfhandlungen über die Grenzen der Ukraine aus. Russland verübt Groß-Attentate und Sabotageakte in Westeuropa, es kommt schließlich zum Einsatz einer taktischen Atomwaffe, die auf eine Nato-Basis zielte, von der Russland behauptet, der Westen hätte sie „inszeniert“, um Russland zu „vernichten“.

In allerletzter Sekunde einigen sich NATO und russische Generäle auf eine Feuerpause. In langwierigen Verhandlungen entsteht eine Demilitarisierungszone quer durch Europa, zu der neben der Ukraine auch die baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien und Weißrussland gehören. So bekommt Putin seinen Willen, kurz bevor er unter ungeklärten Umständen stirbt.

Szenario 8: Der große Weltbrand

Das Ende der Welt oder: Das Unvorstellbare

Ein lang anhaltender Mehrfrontenkrieg bricht aus, der sich atomar hochschaukelt. Große Teile des eurasischen Kontinents und Amerikas werden verwüstet, 200 Millionen Menschen sterben sofort, weitere 300 Millionen an Hunger und den Folgeschäden. Trotzdem stirbt die Menschheit nicht aus, Afrika und Südamerika, China sowie die pazifischen Räume sind weitgehend verschont geblieben. Im Jahr 2035 eröffnet Elon Musk die erste Aussiedler-Stadt auf dem Mars mit dem Namen Newkraine.


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