Atome sind die neuen Bits: Wie der PC die Kommunikation revolutioniert hat, könnten Personal Fabber die physische Produktion umkrempeln.
Fabbing: Die nächste Industrielle Revolution

Am Anfang stand das Unikat. Als unsere Urvorfahren die ersten Figuren, Teller und Schalen aus Lehm formten, standen Dinge stets in unmittelbarer Beziehung zum Produzenten. Die Welt der Dinge war zugleich die Welt der Ideen. Jeder, der etwas schuf, schrieb seine eigene Geschichte, seine personale Magie in Materie hinein. Die Hand, das Holz, der Stein: Diese intime Beziehung zwischen Menschen und ihren Artefakten dauerte Zigtausende von Jahren. Noch in der Agrargesellschaft blieb jedes Ding ein Einzelstück. Ein Bett, ein Stuhl, ein Kleidungsstück stammte aus der unmittelbaren Anstrengung eines Einzelnen oder einer Gruppe von Handwerkern.
Dann, im späten 18. Jahrhundert mit der Dampfmaschine und dem mechanischen Webstuhl „Spinning Jenny“, kam die erste Industrielle Revolution mit der mechanisierten Arbeitsteilung in Manufakturen. Die zweite Diesmal arbeitet die Technologie nicht vom Menschen weg, sondern auf den Menschen zu im Sinne eines individuellen „Empowerment“ Industrielle Revolution – ab 1910 setzte Henry Ford erstmals Fließbänder in seinen Fabriken ein, und Frederick Winslow Taylor stand mit der Stoppuhr daneben – skalierte dieses Prinzip zur industriellen Massenproduktion. In gigantischen Fabriken, im Zuge des Offshoring zu mehrfach um den Globus gewickelten Wertschöpfungsketten zusammengestöpselt, entstanden Abermillionen von Autos, DVD-Playern, Monobloc- Sesseln verbesserter Qualität zu immer günstigeren Preisen, eine „ungeheure Warenansammlung“, wie schon Marx und Engels prognostizierten.
Das Pendel schwingt zurück
Die dritte Industrielle Revolution, von der wir künden, lenkt das Pendel in eine andere Richtung. An die Stelle des industriellen „Immer-mehr-vom-Gleichen zu immer günstigeren Preisen“ treten individuellere Produkte aus flexibler, kleinteiliger Produktionsweise durch universeller einsetzbare Werkzeugen.
Auch hinter dieser ökonomischen Umwälzung steckt eine technologische: die Digitalisierung. Aber diesmal arbeitet die Technologie nicht vom Menschen weg in Richtung golemhafter Monstrosität, sondern sie arbeitet auf den Menschen zu im Sinne eines individuellen „Empowerment“. Sie wird zu einer mittleren oder vermittelnden Technologie im menschlichen Maßstab, wie sie schon Mahatma Gandhi vorschwebte. Vieles, wofür man früher einen kleinen Betrieb oder ein mittelständisches Unternehmen benötigte, lässt sich heute vom Laptop aus erledigen.
Einiges in der kommenden Epoche entfalteter digitaler Produktivkräfte wird sogar an die Zeit vor der Industriellen Revolution erinnern – nur unter High-Tech-Vorzeichen. „Auf gewisse Weise sind die Produktionsmittel wieder prä-industriell geworden“, schreibt Daniel Pink in seinem Manifest „Free Agent Nation“. Oder pointierter: „Technology is taking the capital out of capitalism.“ Der technologische Wandel wird einen Kapitalismus hervorbringen, in dem Kapital nicht mehr der Engpassfaktor ist.
Die Fabbing-Revolte
Jede Revolution beginnt mit einer schwelenden Revolte, engagierten Vorkämpfern und einem Slogan. Fabbing, das „Ausdrucken“ dreidimensionaler Gegenstände, ist das Herz dieser Revolte. „Atoms are the new bits“ lautet die Formel, mit der Visionäre dieses Aufstands wie Neil Gershenfeld vom MIT nun schon seit Jahren die bevorstehende Disruption durch Fabbing-Technologien ankündigen. Gemeint ist damit, dass der Trend zu Personal Fabrication, die Demokratisierung der Produktion, exakt in den Bahnen verlaufen wird, wie sie die PC-Revolution vorzeichnete. 2005 schrieb Gershenfeld in seinem Buch „FAB: The Coming Revolution on Your Desktop“: „Wie beim Übergang von Mainframe-Computern zu PCs werden die Potenziale von maschinellem Werkzeug nun für den Normalmenschen erschwinglich in Form von Personal Fabricators (PFs). Die Auswirkungen sind wahrscheinlich diesmal aber noch gravierender, weil das, was hier personalisiert wird, unsere physische Welt der Dinge ist, nicht die digitale Welt der Computer-Bits.“
Um einen Vorgeschmack zu geben, haben Gershenfeld und sein Centre for Bits and Atoms die FabLabs entwickelt, kleine Produktionseinheiten, in denen von Alltagsgütern des täglichen Bedarfs bis zu Hightech-Produkten fast alles dezentral produziert (und repariert) werden kann. Über 50 dieser FabLabs sind mittlerweile weltweit im Einsatz, vom ländlichen Indien bis Boston, von Südafrika bis Nord-Norwegen. Aber Gershenfeld geht es um mehr als nur um ein neues Werkzeug, das Industrieproduktion dorthin bringt, wo sie vorher nicht war. Eigentlich geht es dem Revolutionär darum, die Trennung von Handwerkskunst und Produktion im Gefolge der Industriellen Revolution zu korrigieren. Der eigentliche Sprengstoff dafür schlummerte in der Weiterentwicklung der 3D-Drucker, die damals noch gar nicht richtig begonnen hatte, als Gershenfeld mit einem leichten Hang zum Paradox schrieb: „Ein programmierbarer Personal Fabricator wird in der Lage sein, alles Mögliche, inklusive sich selbst, herzustellen – indem er Atome kombiniert. Es wird eine sich selbst reproduzierende Maschine sein.“
Das nächste Apple
Kurze Zeit später, im September 2006, stellte Adrian Bowyer, ein exzentrischer Brite, an der Universität von Bath im Westen Englands den ersten Prototypen einer solchen Maschine vor, die neben allem möglichen anderen auch die meisten Bauteile für sich selbst herstellen konnte – und sich so theoretisch endlos fortpflanzen: der RepRap, kurz für „replicating rapid-prototyper“, ein würfelförmiges Gebilde aus Gewindestangen, Computerchips und simplen Plastikteilen, die auf einer ebensolchen Maschine hergestellt werden können. Auch Bowyer glaubte von Anfang an fest an die durchschlagende gesellschaftliche Wirkung seiner Maschine; sie werde „ein revolutionäres Eigentum an den Produktionsmitteln durch das Proletariat ermöglichen – ohne den chaotischen und gefährlichen Revolutionskram.“
Bowyers Was lange Zeit blumige Versprechung war, steht nun vor einem breiteren Durchbruch: der erschwingliche 3D-Drucker für jeden RepRap, der von einer Open- Source-Hardware-Community permanent weiterentwickelt wird, ist gleichzeitig Urahn der meisten billigen 3D-Drucker, die heute auf dem Markt sind. 2009 machten drei Jungs aus Brooklyn den Anfang und brachten mit dem „Makerbot“ den ersten Bausatz für einen 3D-Drucker unter 1.000 US-Dollar ins Spiel. Obwohl die Eigenbau-Montage zeitraubend und knifflig war, war die Nachfrage auf Anhieb so groß, dass die Firma ihre Erstkunden bitten musste, auf ihren Makerbots gegen Bezahlung Komponenten für weitere Bausätze zu fertigen. Nur halb im Spaß wurde das bescheidene Startup ganz in der Atoms-Bits-Analogie bereits als „das nächste Apple“ gehandelt, erinnert man sich, wie handgemacht die erste PC-Generation aussah.
Seit Anfang dieses Jahres gibt es das neueste Modell „Replicator“ zum Preis von 1.749 US-Dollar im Makerbot-Web-shop. Es kommt vorfabriziert ins Haus, sieht aus wie ein richtiges Produkt und richtet sich an weniger technikbegabte Amateure. Und Makerbot bekommt mächtig Konkurrenz im niederpreisigen Home-Segment. Eine Reihe von 3D-Druckern in ähnlicher Preisklasse sind bereits lieferbar. Der Markt fühlt sich ein bisschen an wie der PC-Markt um 1980, zu Zeiten des Commodore VC-20 oder des Atari ST. Was lange Zeit blumige Versprechung war, steht nun vor einem breiteren Durchbruch: der erschwingliche 3D-Drucker für jeden, als Teil der PC-Infrastruktur.
Wenn Makerbot sich tatsächlich als das nächste Apple herausschälen sollte, dann wäre die angegliederte Website Thingiverse.com das nächste iTunes. Hier kann man sich die CAD-Datensätze herunterladen, mittels derer der Makerbot – oder jedes andere Modell – dann den eingespeisten Plastikdraht über eine Heißdüse Schicht für Schicht in die gewünschte Form modelliert. Der Vergleich mit Apple hinkt allerdings, weil auf Thingiverse alle Datensätze umsonst zu haben sind – so wie das ganze Feld noch sehr nach Open-Source-Regeln funktioniert. Bisher, und das ist das große Manko der Szene, ist allerdings wenig Weltbewegendes dabei: Das Spektrum reicht von der Trillerpfeife bis zur Schneckenfalle für den Garten. Das liegt zum einen an den begrenzten Volumina, zum anderen an den zu verarbeitenden Materialien. Die meisten Geräte können nur minderwertige Thermoplaste verarbeiten und in Einzelobjekte bis zur Größe eines Tennisballs verwandeln. Damit lässt sich die Welt kaum aus den Angeln hebeln.
Aber auch das ändert sich. Immerhin kann der „Replicator“ bereits zweifarbige Objekte ausdrucken, und es tun sich immer mehr sinnvolle praktische Anwendungsfelder auf – nicht mehr lieferbare Ersatzteile für historische Geräte und Oldtimer sind bereits heute eins. Per 3D-Scanner lassen sich Alltagsobjekte in Datensätze verwandeln und werden so zur Software für eine Reparatur-Ökonomie „Marke Eigenbau“.
Ding-Piraterie durch Amateure
Als Menetekel und historischer Kick-off könnte sich in der Rückschau etwa ein scheinbar unbedeutendes Ereignis im Januar 2012 erweisen: der Zeitpunkt, als The Pirate Bay die Kategorie „Physibles“ zu seinen bestehenden Kategorien hinzufügt. Damit rüstet sich die Filesharing-Plattform, die schon der Software-, Musik- und Filmindustrie gehörig zugesetzt hat, für eine Zukunft, in der auch die CAD-Daten physischer Objekte auf breites Interesse von Raubkopierern stoßen und das verarbeitende Gewerbe nicht mehr nur chinesische Kopien und Plagiate fürchten muss, sondern eine Ding-Piraterie durch Amateure.
Die Erläuterung der Piraten dazu liest sich ähnlich vollmundig-visionär wie die Sätze der ersten Fabbing-Propheten: „Wir versuchen immer, die Zukunft vorauszusehen... Wir glauben, der nächste Schritt beim Kopieren wird der von der digitalen zur physischen Form sein. Es werden physische Objekte sein. Oder, wie wir sie nennen: Physibles. Datenobjekte, die bereit und in der Lage sind, sich zu vergegenständlichen. Wir glauben, 3D-Drucker, -Scanner und dergleichen sind nur der erste Schritt. Wir glauben, in der nahen Zukunft wird man Ersatzteile für Fahrzeuge drucken. Und in 20 Jahren seine Sneakers herunterladen.“ Was passiert, wenn sich die Hacker auf die reale Welt stürzen und beginnen, die Lücken zu stopfen und Nischen zu füllen, die eine industrielle Massenproduktion bietet?
Auch Chris Anderson, Chefredakteur von Wired, „Long Tail“-Erfinder und Kurator der TED-Konferenz, sieht – ausgehend von einer Renaissance der Garagenbastler – eine neue Industrielle Revolution heraufziehen, die sich am Vorbild der Digitalisierung orientiert. In einer Wired-Titelgeschichte zum Thema schreibt er: „Peer Production, Open Source, Crowdsourcing, User-generated Content – all diese digitalen Trends übertragen sich nun auf die reale Welt.“
Maker-Movement
Analog zu den Hackern der PC-Revolution bildet in den USA die wachsende Maker-Szene die Speerspitze der Bewegung. Sie trifft sich seit 2006 in Kalifornien auf der Maker Faire, einer Art Erfinder-Weltkongress 2.0, der mittlerweile Ableger in Kanada, Afrika und Korea ausgebildet hat. Bei der letzten Flagship-Messe im Mai 2012 im San Mateo County Event Center kamen über 100.000 Teilnehmer. Die Szene reicht von den traditionellen Bastlern und Schraubern, die in klassischer Do-it-yourself-Manier vom getunten Toaster bis zur lebensgroßen Dinosaurier-Attrappe alles Mögliche selbst herstellen, bis zu den Hardhackern, deren Ehrgeiz darin liegt, eigene Computer-Hardware und -Peripherie zu entwickeln und anzupassen.
Letztere erleben durch die Entwicklung des „Arduino“ derzeit erheblichen Zustrom. Diese von Interface-Designern in Norditalien entwickelte „Electronic Prototyping Platform“ ist nach Open-Source-Regeln Ganze globale Wertschöpfungsketten können von einzelnen Individuen und vom Laptop aus dirigiert und kontrolliert werden anpassbar, frei und einfach zu bestücken mit Sensoren, LEDs, Elektromotoren etc. Damit wird der Arduino, den es in der Basisvariante bereits ab 20 Euro zu kaufen gibt, zum Herzstück vieler Hardware-Eigenentwicklungen bis hin zu marktreifen Produkten in Kleinserie. Selbst versiertere Laien können damit nach Anleitung einen webfähigen Feuchtigkeitsmesser bauen, der ihnen über Twitter mitteilt, wenn die Zimmerpflanzen Wasser brauchen. Ambitioniertere Bastler haben damit bereits einen Open-Source-Gameboy fabriziert.
Die Ultra-Pioniere der Bewegung haben sich allerdings bereits von der Hardware abgewendet und richten ihre Energien auf die „Wetware“, biologische Materialien, Mikroorganismen und DNA. Bio-Hacking heißt das neue Zauberwort. Hobby-Frankensteine, die sich selbst „Bio-Punks“ nennen, machen den Einrichtungen der Spitzenforschung ihr Monopol auf die synthetische Biologie streitig. Die Laborausstattung dafür kaufen sie billig auf Ebay, die Gen- Sequenzen, sogenannte „Biobricks“, erhalten sie von den gleichen Laboren, die ansonsten für Profi-Forscher die Sequenzierungen im industriellen Maßstab übernehmen. Bislang hat noch kein lebensfähiger, von Amateuren designter Organismus den Bastelkeller verlassen. Das heute erreichbare Niveau, das fanden kürzlich auch Wissenschaftsredakteure der FAZ im Eigenexperiment heraus, liegt etwa bei der Isolierung und Analyse einzelner Genabschnitte des eigenen Erbmaterials.
Dagegen stehen vollmundige Ankündigungen von Biohacking-Visionären wie Freeman Dyson von der Harvard-Universität: „Die domestizierte Biotechnik wird uns, steht sie erst einmal Hausfrauen und Kindern zur Verfügung, eine explosionsartige Vielfalt neuer Lebewesen bescheren statt der Monokulturen, die Großunternehmen bevorzugen.“ Und weiter: „Genome designen wird eine persönliche Angelegenheit, eine neue Kunstform, die so kreativ wie Malen oder Bildhauern sein wird. Nur wenige der neuen Kreationen werden Meisterwerke sein, viele aber werden ihren Schöpfern Freude bereiten und unsere Fauna und Flora bereichern.“
Ob irgendetwas davon jemals Realität wird, scheint fraglich. Dass überhaupt darüber nachgedacht und daran herumexperimentiert wird, zeigt aber, dass heute kein Bereich mehr vor herandrängenden Hackern sicher ist. Und keine Industrie dagegen gefeit, dass sich ambitionierte Amateure und DIY-Bastler in ihr Geschäftsfeld einmischen.
Distributed Manufacturing
Die nächste Industrielle Revolution bedeutet nicht, dass eine neue Form der High-Tech-Subsistenzwirtschaft an die Stelle der industriellen Massenproduktion tritt. Das Szenario, dass die neue Konkurrenz für Konzerne aus Garagen, Hobbykellern und Hinterhöfen erwächst – und auch dort produziert –, ist ebenso unrealistisch wie der populäre Kurzschluss, dass wir eines Tages alle 3D-Drucker auf unseren Schreibtischen stehen haben werden, die unsere Güter des täglichen Bedarfs ausspucken. Dafür sind heutige Herstellungsverfahren zu komplex, die Leistungsfähigkeit von Home-3D-Druckern zu limitiert, beispielsweise scheitern sie auf absehbare Zeit an der Metallverarbeitung, und die Oberflächenqualität lässt auch noch sehr zu wünschen übrig.
Zwar hat im Tokyoter Hipster-Stadtteil Shibuya gerade das erste FabCafe eröffnet: Während man seinen Frapuccino trinkt, kann man sich die auf einem USB-Stick mitgebrachten CAD-Datensätze als Objekte ausdrucken lassen. Aber auch das Szenario, dass es in Zukunft Fabshops an jeder zweiten Ecke geben wird wie heute Copyshops, ist wohl eher zu kurz gedacht.
Was indes blüht und wächst, besonders in den USA, sind Gemeinschaftswerkstätten, die nach dem Modell von Co-Working-Spaces eine Werkbank und Zugriff auf den Maschinenpark auf Stunden- oder Tagesbasis bieten. Die Kette TechShop verfügt landesweit bereits über fünf Standorte, weitere sind in Planung. Ähnlich wie die FabLabs ausgestattet, bieten sie den Mitgliedern Zugriff auf CNC-Laserfräsgeräte, 3D-Drucker, Geräte zur Bestückung von Elektronikplatinen, Verarbeitung von Carbonfasern etc. Neben Hobbybastlern fertigen hier einzelne oder kleine Teams hochspezialisierte Produkte in Kleinserien. Die Stückzahlen und Umsätze dieser virtuellen Unternehmen sind oft zu groß für die Garage, jedoch zu klein, um wirklich eine eigene Firma mit eigenem Maschinenpark zu gründen – deshalb sind sie in den TechShops genau richtig angesiedelt.
Chris Anderson selbst ist an einem Unternehmen beteiligt, das unbemannte Drohnen für nichtmilitärische Einsatzzwecke herstellt, die im TechShop in Menlo Park entwickelt wurden: „Was diese kleinen Businesses von der Reinigung oder dem Tante-Emma-Laden an der Ecke unterscheidet, die die Mehrheit der Kleinunternehmen im Land bilden, ist, dass wir global und Hightech sind“, schreibt Anderson: „Zwei Drittel unserer Bestellungen kommen von außerhalb der USA. Wir konkurrieren am unteren Ende mit Waffenlieferanten wie Lockheed Martin oder Boeing.“ In Europa ist die Welle noch nicht ganz angekommen, auch wenn das Betahaus in Berlin mit der „Open Design City“ bereits über eine Gemeinschaftswerkstatt verfügt und die Dingfabrik in Köln demnächst sogar ein noch größeres Rad drehen will.
Was sich ferner abzeichnet, ist, dass ganze globale Wertschöpfungsketten von einzelnen Individuen und vom Laptop aus dirigiert und kontrolliert werden können. Die virtuelle Ein-Mann-Fabrik kombiniert lokale Produktion mit spezialisierten Remote-Dienstleistungen und Support-Services: „Die Werkzeuge der Fabrikproduktion von der Elektronikmontage bis zum 3D-Drucken sind jetzt für Individuen in kompakten Einheiten verfügbar. Jeder mit einer Idee kann in China Fließbänder in Bewegung setzen“, schreibt Chris Anderson. Heimische 3D-Drucker dienen demnach, wie bislang in F&E-Abteilungen von Konzernen und Mittelständlern, vorwiegend dem Design von Prototypen. Die Herstellung von der Kleinserie bis zum Massenartikel wird – ebenfalls nach dem Vorbild der Konzerne – über Plattformen wie Alibaba.com in Offshoring-Zentren ausgelagert. Auch das gesamte Fulfillment vom Versand bis zur Fakturierung lässt sich mittlerweile bequem an Drittanbieter outsourcen.
Spezialisierte Web-Plattformen wie I.materialise.com, Fabberhouse.de, Sculpteo.com, Razorlab.co.uk oder Formulor.de bieten über das Internet alles vom Lasercutting-Service bis zu aufwendigeren 3D-Druck-Verfahren wie Stereolithographie und Lasersintern, womit Objekte mit glatter Oberfläche herzustellen sind und sich auch Metall verarbeiten lässt. Viele der Anbieter haben auf ihrer Website gleich einen Webshop integriert, über den sich die Gegenstände und Designs an Dritte verkaufen lassen. Im Shop von Shapeways.com, einer Tochter des Philips-Konzerns, finden sich so neben Schmuck, Tand und iPhone-Hüllen auch eine Reihe von Gadgets, Technikzubehör und Auto-Ersatzteile.
Fabbing Society
Auf einer Vielzahl dieser Angebote setzt das Geschäftsmodell von Ponoko.com auf, einem ursprünglich aus Neuseeland stammenden Startup. Ponoko aggregiert lokale Anbieter und kontrahiert Produktdesigner, Käufer, Materiallieferanten und Herstellungsbetriebe vor Ort zu einem Vier-Seiten-Geschäft. Ponoko selbst nennt das „distributed manufacturing“. „Wir versuchen, ,Made in China‘ über den ganzen Globus zu schmieren“, sagt David ten Haven, einer der Gründer: „Wir sind dabei, die Fabrik des 21. Jahrhunderts zu bauen.“ Im Wikipedia- Eintrag zu Ponoko liest sich das nur unwesentlich verhaltener: „Viele glauben, dass solch distribuiertes on-demand Manufacturing einen größeren Paradigmenwechsel im verarbeitenden Gewerbe bedeuten könnte.“ Gemeint ist: Die Produktion wandert nicht von China auf den heimischen Schreibtisch – aber sie wandert doch in die Nähe, zu einer Produktionsstätte vor der eigenen Haustür. Das hat Implikationen für die Stoffkreisläufe, Logistikwege und die gesamte Wirtschaftsstruktur.
Distribuiertes Manufacturing bedeutet: Weg von den globalisierten Long-Haul-Wirtschaftsketten, hin zur dezentralen Produktion, stärkeren regionalen Wirtschaftsbeziehungen und geschlossenen Stoffkreisläufen. In ihrem Buch „Vom Personal Computer zum Personal Fabricator“ schreiben Andreas Neef, Klaus Burmeister und Stefan Krempl, drei Forscher des Institutes z_Punkt, über die disruptive Kraft dieses Paradigmenwechsels: „Eine dezentralisierte Produktionslandschaft wird zwangsläufig zu einem neuen Wirtschaftsspiel führen, einem ,Whole New Game‘, in dem die Rollen zwischen Entwickler, Produzent, Händler und Konsument neu verteilt werden. Produktion und Konsum rücken enger zusammen und der Kunde wird zum aktiven Teil der Wertschöpfungskette. Die industriellen Geschäftsmodelle werden in der Fabbing Society der Zukunft auf den Kopf gestellt.“