Digitales Marketing ist keine Online-Verlängerung von analogen Kampagnen: Wer in der Marketingbranche erfolgreich sein will, muss umdenken.
Von Nina Peis (08/2015)
Digitales Marketing ist keine Online-Verlängerung von analogen Kampagnen: Wer in der Marketingbranche erfolgreich sein will, muss umdenken.
Von Nina Peis (08/2015)
Lange Zeit funktionierten viele Marketingaktivitäten nach diesem Schema: Ein TV-Spot wird möglichst zur besten Sendezeit am Abend in die Wohnzimmer katapultiert, anschließend wird fleißig belegt, wie viele Menschen den Spot irgendwie "gesehen" haben mussten. Im gleichen "Kampagnen-Look" werden möglichst gut gesehene Flächen der Städte mit den Kampagnen-Botschaften beklebt. Dann noch ein aktivierender Funkspot mit direkter Kauf-Aufforderung, und die Vertriebskollegen waren zufrieden. Doch dann kam das Internet. Die Digitalisierung hat nicht nur neuartige Schnittstellen geschaffen, sondern auch völlig neue Rahmenbedingungen für das Marketing von morgen.
Was änderte sich? Zunächst gar nicht so viel: Die „Online-Verantwortlichen“ der Marketing-Abteilungen durften ihre bunten Werbebotschaften einfach als Banner-Kampagnen ins Internet übertragen. Doch was vielen nicht bewusst war – und auch heute oft noch nicht klar ist: Das Internet ist nicht einfach ein weiterer Touchpoint für die Verbreitung von Werbebotschaften. Es bedeutet einen fundamentalen Wandel im Umgang des Menschen mit Medien und Themen – und im Verhältnis von Unternehmen und Marken zu ihren Kunden.
Mit Social Media ist nicht nur ein neuer Kanal für die Verbreitung von Werbung entstanden, sondern eine ganz neue Art von Kundenbeziehung: eine neue Nähe zwischen Marken und Kunden. Aus einseitigen Monologen wird ein transparentes Miteinander aus Meinungen, Beurteilungen und Diskussionen zwischen Marken, Konsumenten, Fans, Kritikern und Meinungsführern. Dieser fortwährende Dialog ist zur zwischenmenschlichen Norm geworden - und zu einer neuen Erwartungshaltung an Marken.
Für Marketing-Verantwortliche bedeutet dieser Wandel:
Diesen neuen Anforderungen kann ein klassisch gedachtes Marketing-Verhalten nicht gerecht werden. Nichtsdestotrotz ist in vielen Marketing-Abteilungen und Werbeagenturen ein Widerstand gegen ein Umdenken und Umstellen der Arbeitsweise zu spüren. Noch immer reden zahlreiche Marketing-Verantwortliche von einer "Online-Verlängerung" ihrer Kommunikationsmaßnahmen. Viele erkennen immer noch nicht, dass einseitig aufgestülpte Botschaften immer mehr an den gewünschten Empfängern abprallen - und verstecken die Misserfolge analoger Maßnahmen hinter ihrer "Unmessbarkeit".
Auch die Tatsache, dass künstlich kreierte und stereotypisierte Werbe-Versprechen mit einem Klick als Mythos aufgedeckt werden und daher eher zur Senkung als zur Steigerung des Marken-Images beitragen, wird immer wieder ignoriert. Dabei sind gerade für "Digital Natives" Authentizität und transparente Informationen wichtige Beurteilungskriterien. Was diese Generation außerdem von Marken erwartet, sind echte Services und Nutzwerte. Künftig werden deshalb nicht die Marken mit den buntesten, lautesten und schrillsten Kampagnen vom Konsumenten gefeiert, sondern diejenigen, die Bedürfnisse aufdecken und auf diese mit intelligenten Services antworten.
Dafür müssen Marken-Verantwortliche mehr denn je zuhören können, etwa mit Hilfe von "Listening Tools", und auf das eingehen, was (potenzielle) Kunden, die sich zunehmend im Netz bewegen, beschäftigt. Die Kommunikation rund um ein Produkt wird künftig nicht mehr der entscheidende Teil des Marketing-Handelns sein, sondern das Aufspüren und Finden von "Marken-Antworten" auf Needs.
Viele internationale Marken und Nischen-Produkte nutzen die Möglichkeiten der neuen Technologien und ihr Wissen über Kunden-Bedürfnisse, um ihre Markt-Position zu stärken. Die digitalen Tracking-Tools von Nike oder Services wie Airbnb und Uber sind Beispiele für diese neue Art von Bedürfniserfüllung, die aus einer neuen Art der Interaktion entstanden sind. Ein Reiseanbieter, der heutzutage statt auf authentische Einblicke auf Hochglanz-Werbung setzt, wird auf dem Markt der Reiseanbieter verlieren.
Zukunftsfähiges Marketing muss integrierter und vollständig vernetzter Teil eines Unternehmens werden und darf nicht mehr am Ende einer Produktionskette für das Verbreiten von Botschaften stehen. Es muss sich als "Bedürfnis-und-Ideen-Lieferant" und Teil der Produktentwicklung verstehen. Die Produkte selbst und alle Services und Innovationen rund um diese Produkte werden zum wichtigsten Marketing-Element. Die Kunst des Marketings von morgen besteht darin, Bedürfnisse aufzudecken und mit einem Produkt oder Service zu antworten, statt mit Botschaften, die künstlich um ein Produkt gestrickt wurden.
Das bedeutet drastische Veränderungen in zahlreichen Marketing-Abteilungen und Agenturen. Marketing muss neu begriffen und anders im Unternehmen verortet werden. Die analoge Welt existiert weiterhin, doch die Grenzen zwischen analog und digital verwischen. Mehrwerte für die Nutzer müssen deshalb on- und offline geschaffen werden. Technologischen Lösungen wie beispielsweise iBeacons stehen dafür bereits zur Verfügung. Sinnvoll können sie jedoch nur dann eingesetzt werden, wenn "Marketing Manager Digital" und "Marketing Manager Analog" nicht getrennt voneinander agieren. Verknüpfungen von On- und Offline werden selbstverständlicher Teil erfolgreicher Marketing-Lösungen sein.
Gewinner der Digitalisierung sind diejenigen Unternehmen, Marketing-Abteilungen und Agenturen, die diesen neuen Zeitgeist wahrnehmen und danach handeln. Nur wenn veraltete, analoge und isolierte Marketing-Denkweisen abgelegt werden, kann sich echte Innovationskraft entwickeln und etablieren.
Nina Peis ist studierte Kulturwissenschaftlerin und begann ihre Karriere zunächst in klassischen Marketing Abteilungen. Bei der Digitalagentur Razorfish betreute sie das digitale Marketing von Kunden wie Audi, McKinsey und Seat. Heute ist sie als Senior Digital Strategist bei der Full-Service Agentur Huth&Wenzel für Digitalprojekte verantwortlich.