Das „Fair“-Prinzip erlebt einen sichtbaren Wandel: Die rein politische, globalisierungskritische Forderung von einst entwickelt sich zum neuen Wirtschaftsparadigma
Von Fair Trade zu Fair Business
Nachdem über Jahrzehnte das Letzte an Effizienz aus den globalen Wertschöpfungsketten herausgequetscht wurde, erkennt man allmählich, dass Effizienz nicht alles ist. Resilienz lautet ein neues Buzzword: Organisationen müssen heterogen und flexibel sein, um auf unvorhersehbare Ereignisse erfolgreich reagieren zu können. Resilienz als Business-Paradigma heißt, Survival-Fähigkeit über Profitmaximierung zu stellen. Das bedeutet konkret, Mitarbeiter fair zu behandeln, ihnen Sicherheit und Vertrauen entgegenzubringen.
Daraus entwickelt sich ein neuer Unternehmenstypus, in dem soziales und ökologisches Engagement von der Marketingabteilung ins Zentrum der Wertschöpfungskette wandert. Er ist von der Idee geprägt, dass ökonomische, ökologische und soziale Ziele nicht im Konflikt miteinander stehen, sondern sich aufaddieren zum eigentlichen Firmenergebnis. Unterm Strich zählen somit gleichberechtigt die drei Ps: Profit, People und Planet. Konzerne wie Puma oder BMW machen spürbar ernst mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie. Wie bei Vernachlässigung der sozialen Frage ein ganzes Marktsegment „kippen“ kann, zeigt der Untergang des Schlecker-Imperiums. Wo bei Schlecker ethische Grundsätze fehlten, gilt der Wettbewerber und Gewinner, die dm-Drogerien, als Flaggschiff ökosozialer Verantwortung.
Soziale Verantwortung zahlt sich aus
In einigen Unternehmen kommt die Erkenntnis langsam an: Die Corporate Social Responsibility (CSR) ist im Bewusstsein von Konsumenten längst zum entscheidenden Kriterium für die Exzellenz von Unternehmen avanciert. Und „fair“ soll es nach dem Wunsch von Käufern nicht nur im Handel zugehen. Gemeint ist Fairness von Unternehmen insgesamt – gegenüber Kunden, Partnern und Mitarbeitern.
„Verbraucher verlangen in Zukunft nicht nur nach funktionstüchtiger Ware, sondern wollen, dass sie nach objektiven ökologischen und sozialen Gesichtspunkten hergestellt wird”, sagt Hanjo “Verbraucher verlangen, dass Ware nach objektiven ökologischen und sozialen Gesichtspunkten hergestellt wird” Schneider, Konzernvorstand für den Bereich Services der Otto Group und CEO von Hermes Europe. “Im fairen und nachhaltigen Wirtschaften wird zukünftig ein entscheidendes Qualitätsmerkmal liegen. Denn auch im wachsenden internationalen Wettbewerb dürfen soziale Standards und unternehmerische Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft nicht unterminiert werden.“
Diejenigen Warengruppen, die man früher als „Kolonialwaren“ bezeichnete, also Kaffee, Tee, Schokolade und Südfrüchte, sind die ersten Assoziationen zum Stichwort Fair Trade. Dabei waren die ersten fair gehandelten Waren in den 1950er Jahren Handarbeiten. Erst 1973 wurde in den Niederlanden der weltweit erste fair gehandelte Kaffee verkauft.
Der Coffeeshop-Konzern Starbucks verkauft seit dem Jahr 2000 fair gehandelten Kaffee (wenn auch nicht ausschließlich) und ist nach eigenen Angaben einer der größten Abnehmer für Fair-Trade-Kaffee weltweit. Und er wächst weiter: Letztes Jahr startete Starbucks die Testphase seiner „Corner Cafés“. Diese Automaten fürs Büro wurden in der Schweiz erfolgreich getestet und sollen jetzt in Kantinen in ganz Europa eingerichtet werden. Starbucks, diese riesige Kapitalgesellschaft mit 115.000 Mitarbeitern und Milliarden-Umsätzen, geriet im Laufe der Jahre allerdings bei verschiedenen Anlässen auch in die Kritik, was seine sozial-ökologische Haltung angeht.
Viel kleiner, dafür ein regelrechter Fair-Trade-Streber ist das deutsche Unternehmen Green Cup Coffee. Carolin Maras, 33, und Annika Poloczek, 30, gründeten Green Cup Coffee mit dem Anspruch, den Weg jeder einzelnen Kaffeebohne bis zur Finca zurückverfolgen zu können. Dabei zahlen die Schwestern den Lieferanten nicht nur mehr als den Weltmarktpreis, sondern oft sogar mehr als den durchschnittlichen Fair-Trade-Preis. Das Unternehmen beschäftigt einen eigenen Kaffee-Sommelier für diesen Spitzenkaffee, der bisher nur via Internet vertrieben wird. Doch auf lange Sicht will Green Cup Coffee eigene Espressobars eröffnen.
Mehr als Kaffee und Bananen
Fair produzierte Produkte haben eine Zukunft, die weit über die klassischen Produktkategorien hinausgeht. Der jüngste Erfolg des Fairphones macht das deutlich: Inzwischen weit über 13.000 Bestellungen ermöglichten den Produktionsstart des „ernsthaft coolen Smartphones, das soziale Werte in den Vordergrund stellt“. Die Rohstoffe für dieses Mobiltelefon stammen aus konfliktfreien Regionen der Welt, sichere Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne werden garantiert. Zudem wird mit offener Software und Open Design gearbeitet und das Recycling von Altgeräten gefördert.
Die Deutschen wollen mehr als nur fair gehandelten Kaffee und Bananen. Das belegt eine aktuelle Studie des Zukunftsinstituts im Auftrag der Westfalenhallen Dortmund, die jährlich die FAIR TRADE & FRIENDS, die größte Messe rund um den fairen Große Potenziale bestehen im Segment der Consumer Electronics Handel in Deutschland, veranstalten. Der Studie liegt eine repräsentative Umfrage zugrunde: 36 Prozent der Befragten wünschen sich mehr nachhaltigkeitsorientierte und sozialverträgliche Angebote im Bereich der Elektrogeräte. Während die Meinung vorherrscht, dass es in den Bereichen Lebensmittel und Mode schon heute viele ökosoziale Angebote gibt, besteht im Segment der Consumer Electronics noch großes Potenzial.
Fairphone, ein niederländisches Unternehmen der gemeinnützigen Waag Society, ist die Reaktion auf die anhaltend schlechten Bedingungen in den Herstellerfabriken, wie beispielsweise in der chinesischen Elektronikfirma Foxconn, in der Apple produzieren lässt. Massimo Banzi, Gründer und CEO von Arduino, einem führenden Anbieter von Open-Source-Hardware, bringt es auf den Punkt: „Fairphone rührt an ein wichtiges Thema der Elektronikindustrie, über das niemand sprechen will: die Herkunft unserer Produkte.“
In jedem Mobiltelefon stecken bis zu 30 Metalle und Mineralien, die häufig unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Minen in Krisengebieten abgebaut werden. Dass ein Mobiltelefon nicht zu 100 Prozent, bis in den allerersten Produktionsschritt – die Förderung der seltenen Rohstoffe – fair produziert werden kann, gestehen auch die Macher des Fairphones ein. Doch es geht auch darum, mit dem Fairphone einen Maximal-Standard zu setzen. Bas van Abel, Gründer und Geschäftsführer von Fairphone, ist überzeugt, „dass wir gemeinsam komplexe Lieferketten öffnen und die Art und Weise, wie Produkte hergestellt werden, ändern können“. Im November 2013 soll das faire Telefon an die begeisterten Kunden ausgeliefert werden, die schon im Frühjahr vorbestellt hatten.
Wer den Film „Blood Diamond“ gesehen hat, weiß, wie sich die Förderung seltener Rohstoffe im schlimmsten Fall auf die soziale Stabilität eines Landes auswirken kann. Gerade in Bezug auf Diamanten gibt es jedoch eine ganz einfache Alternative: Man weicht auf künstlich hergestellte Diamanten aus. Schon seit den 1950er Jahren ist die synthetische Herstellung von Diamanten technisch möglich, als Schmuckstücke unter dem Label sozialer Verantwortung vermarktet werden sie aber erst jetzt – zum Beispiel von dem Juwelier BrilliantEarth, der auch recycelte Metalle verwendet.
Wertvoller Elektroschrott
Fair wird in Zukunft für Hersteller und Händler auch bedeuten, ein nachhaltiges Ressourcenmanagement zu betreiben. Das heißt konkret, Elektroschrott zu vermeiden, also Elektrogeräte möglichst langlebig zu gestalten, und „Abfall“ als Ressource für Rohstoffe zu nutzen. Für die Consumer-Electronics-Branche bietet sich die Möglichkeit, teure Rohstoffe – die meist unter problematischen Bedingungen abgebaut werden – durch Eintauschaktionen wieder zurückzugewinnen. Wie viele alte Mobiltelefone liegen in Schränken und Schubladen deutscher Haushalte vergraben? Laut dem Branchenverband BITKOM circa 86 Millionen. Unternehmen wie die Deutsche Telekom oder Telefónica O2 starten erste Sammelaktionen und Projekte, um die in Alt-Handys enthaltenen Sekundärrohstoffe zurückzugewinnen.
„Wenn der gesamte Elektroschrott in Deutschland recycelt würde, könnten wir den Rohstoffbedarf der Industrie etwa zur Hälfte decken“, erklärt Beate Kummer vom Recycling- Konzern Scholz. Hersteller und Händler können somit sprichwörtlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie erhalten auf sozialverträglichem Wege Das Denken in Wertstoffkreisläufen und Produktlebenszyklen wird sich in den nächsten Jahrzehnten massiv durchsetzen Rohstoffe zurück, die in neuen Produkten wiederverwendet werden können. Zudem schaffen sie Vertrauen bei den Kunden, indem sie Verantwortung für Produkte auch am Ende ihrer Verwendung oder Lebensdauer übernehmen. Das Denken in Wertstoffkreisläufen und Produktlebenszyklen wird sich in den nächsten Jahrzehnten massiv durchsetzen und immer stärker die Businesslogik verändern. Abfälle sind künftig nicht mehr die Endprodukte des ökonomischen Stoffwechsels. Sie werden Teil neuer Wirtschaftskreisläufe und verlängerter Wertschöpfungsketten im Fair Business von morgen.
Fairer Konsum boomt
Der Trend zu „moralischem“ und strategischem Konsum ist die Ursache für das enorme Wachstum des Fair-Trade-Marktes in den vergangenen Jahren. Lag der Umsatz mit Fair-Trade-Produkten in Deutschland 2005 noch bei 72 Millionen Euro, waren es 2012 bereits 533 Millionen Euro. Inzwischen kennen 87 Prozent der deutschen Verbraucher Produkte aus fairem Handel, so das Ergebnis einer bundesweiten repräsentativen Umfrage. 54 Prozent der über 16-Jährigen kaufen zumindest gelegentlich Fair-Trade-Produkte, können folglich zum großen Kreis der Käufer von ökosozialen Produkten gerechnet werden. Jeder Achte (12 Prozent) kauft sogar regelmäßig oder so oft es geht fair gehandelte Waren.
Auch weltweit lässt sich ein konstantes Wachstum des Fair-Trade-Marktes beobachten. 2011 konnte der Umsatz auf knapp 5 Milliarden Euro gesteigert werden, das entspricht einer Wachstumsrate von 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (vgl. Fair Trade International 2012). Einstige Produzentenländer – etwa Südafrika – werden mehr und mehr zu Abnehmern von Fair-Trade-Produkten. Ökosoziale Erzeugnisse werden künftig nicht mehr nur in westlichen Ländern Absatz finden, sondern auch Märkte wie China oder Indien mit ihren immens wachsenden Mittelschichten erobern. Gerade in Ländern, die lange Zeit nur die verlängerte Werkbank des Westens waren, wird sich mittelfristig ein starkes Bedürfnis nach nachhaltig produzierten und fair gehandelten Waren etablieren. Schon heute beläuft sich der Umsatz mit Bio-Produkten in China auf über eine Milliarde Dollar pro Jahr, meldet das Organic Food Development Center in Peking. Bis 2015 soll der chinesische Bio-Markt sogar auf bis zu 7 Milliarden Dollar anwachsen.
Auch in den Emerging Markets wird sich Nachhaltigkeit zum Distinktionsmerkmal entwickeln: Denn ökosoziale Produkte sind teurer, besitzen die Aura des Exklusiven und Individuellen, die sich nur die Mittel- und Oberschicht leisten kann – und auch gern zur Schau stellt. Fair entwickelt sich weltweit zum neuen Bio: weg aus der Mitleidsecke der Entwicklungshilfe, hin zu einem Vorzeigestandard im Konsum, der Prestige und Mehrwert mit sich bringt.
Der Boom bei Fair-Trade-Produkten entspringt einem deutlichen Vertrauensverlust seitens der Verbraucher. In Zeiten, in denen ein Lebensmittelskandal den nächsten jagt Nur mit Transparenz kann die Wirtschaft verloren gegangenes Vertrauen zurückerobern und im Wochentakt über miserable Arbeitsbedingungen und Unfallkatastrophen in den Herstellerländern der Textilindustrie berichtet wird, sind Verbraucher zunehmend skeptisch. Vertrauen ist nicht mehr ad hoc gegeben, es muss stetig erarbeitet werden. Transparenz ist der Hebel, mit dem die gebeutelte Wirtschaft verloren gegangenes Vertrauen bei den Konsumenten zurückerobern kann. Transparenz ist künftig unverzichtbar. Wenn Unternehmen sie nicht von sich aus aktiv erzeugen, tun es ihre Kunden. Doch Transparenz auf Nachfrage erzeugt eher Skepsis als Vertrauen.
Transparenzmärkte sind Zukunftsmärkte
Die Studie „FAIR – Von der Nische zum Mainstream“ belegt: 69 Prozent der Deutschen wollen wissen, woher Produkte stammen. Ebenso viele wünschen sich eine authentische und ehrliche Kommunikation seitens der Unternehmen. Eine Erfahrung, die Handel in Zukunft meistern muss, wird die Offenlegung von Produktions- und Handelsketten sein. Und das möglichst einfach und nachvollziehbar. Letztendlich werden sich auch Fair-Trade-Produzenten künftig aktiv der Diskussion ums Greenwashing stellen müssen – wie aktuell bereits die Bio-Branche. Denn wo immer sich ein Nischenmarkt in einen lukrativen Massenmarkt wandelt, gibt es auch Scharlatane. Umso mehr gilt es, die Herkunft von Produkten zu prüfen – mit transparenten Zertifizierungsverfahren, hohen Qualitätsmaßstäben und nach einheitlichen Standards.
Während sich im Bio-Segment eine Fokussierung auf die regionale Produktion herauskristallisiert, hat die Mehrzahl der Verbraucher Probleme, sich genau vorzustellen, was Nachhaltigkeit und Fairness im Handel bedeuten. Ob ein Produkt aus der Region stammt, lässt sich relativ leicht nachverfolgen. Ob jedoch soziale und ökologische Standards bei der Herstellung in einem weit entfernten Land eingehalten wurden und welche Wege, Prozesse und Wertschöpfungsmechanismen hinter einem Produkt stehen, können Verbraucher nur sehr schwer einschätzen.
Was erzeugt Vertrauen? Auf rationaler Ebene sicher Transparenz und seriöse Information – doch auf emotionaler Ebene ist es nach wie vor der persönliche Kontakt, der den Ausschlag gibt. Darauf setzt unter anderen Fairmail, ein Anbieter von Fotografien und Postkarten, die nicht nur fair gehandelt sind, sondern den Fotografen ein besseres Leben ermöglichen sollen. Diese Fotografen sind zum Beispiel der fünfzehnjährige Jose Luis Reyes Flores aus Peru oder die sechzehnjährige Suman Rao aus Indien, die sich auf ihren Onlineprofilen auf der Fairmail-Website mit Foto und einem selbstgeschriebenen Text vorstellen. Die Jugendlichen erhalten 50 Prozent des Gewinns vom Verkauf der Postkarten, um ihre Ausbildung zu finanzieren. Außerdem bietet ihnen das Unternehmen ein Fotografie-Training, Krankenversicherung und Hilfe bei ihrer Zukunftsplanung.
Gut ist, was fair ist
Obwohl die Geiz-ist-geil-Ära längst vorbei ist, herrscht gerade in Deutschland ein starkes Preisbewusstsein vor. 54 Prozent der Deutschen achten beim Einkauf auf möglichst preiswerte Produkte, 46 Prozent geben als Hinderungsgrund für einen häufigeren Kauf an, fair gehandelte Produkte seien ihnen zu teuer, so die Ergebnisse unserer Umfrage im Auftrag der Westfalenhallen Dortmund. Doch es findet ein sichtbarer Wandel statt: von einer Billig-um-jeden-Preis-Mentalität hin zu differenzierten, ausgeprägten Qualitätsansprüchen. Hohe Qualität ist heute das wichtigste Kriterium beim Einkauf.
Preis und Qualität schließen sich aber nicht aus. Die Verbraucheranalyse VuMA 2013 belegt einmal mehr, dass rund 58 Prozent der deutschen Konsumenten eher auf die Qualität als auf den Preis achten. Auch eine aktuelle Studie des Zukunftsinstituts zur Zukunft der Qualität belegt nicht nur, dass Qualität weiterhin wichtig und wertvoll ist, sondern dass Käufer in nahezu allen Produktsegmenten hauptsächlich auf die Qualität, nicht auf den Preis achten.
Laut der Nestlé-Studie 2012, durchgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach, zählen 26 Prozent der Deutschen zur Gruppe der „Quality Eater“: Sie legen sehr hohe Maßstäbe an die Lebensmittelqualität an und Für 56 Prozent der Fair-Trade-Käufer ist Fair Trade ein besonderes Qualitätsmerkmal von Produkten sind auch bereit, mehr Geld für Nahrungsmittel auszugeben – monatlich circa 20 Euro mehr als der Durchschnitt. Diese Zielgruppe achtet in verstärktem Maße auf soziale Standards (60 Prozent). Letztlich ist für diese qualitätsbewussten Konsumenten die Herkunft der Produkte aus fairem Handel inzwischen ein wichtigerer Fakt (42 Prozent) als dass es sich um Bio-Produkte handelt (32 Prozent). Fair Trade entwickelt sich zum wichtigen Kriterium für Qualität: Für 56 Prozent der Fair-Trade-Käufer ist Fair Trade ein besonderes Qualitätsmerkmal von Produkten.
Online-Handel bietet neue Chancen
Eine Herausforderung für den künftigen Erfolg von Fair Trade liegt in einer klugen Kundenansprache und im Erschließen neuer Vertriebswege. Konsumenten bewegen sich verstärkt im Internet und kaufen auch dort ein. Die Ergebnisse einer Studie des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels belegen: Der interaktive Handel verzeichnete 2012 mit 39,3 Milliarden Euro in Deutschland einen Rekordumsatz. Davon macht der E-Commerce 70 Prozent des Branchenumsatzes aus. Von 2011 auf 2012 stieg der Umsatz im Online-Handel um 5,9 Milliarden Euro auf 27,6 Milliarden Euro. „E-Commerce ist für die Konsumenten längst ein alltägliches und sicheres Geschäft“, erklärt Thomas Lipke, Präsident des bvh.
Der Online-Handel spielt auch für den Vertrieb von fairen Produkten und Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Während fast drei Viertel der befragten Fair-Trade-Käufer entsprechende Produkte im Supermarkt kaufen und 43 Prozent auf das faire Angebot im Discounter zugreifen, nutzen heute erst knapp ein Viertel der Käufer Online-Shops zum Kauf von Fair-Trade-Artikeln. Dass dieser geringe Anteil sich nicht einer E-Commerce-Müdigkeit seitens der Konsumenten verschuldet, zeigt der Wunsch von 41 Prozent der Käufer fair gehandelter Waren, diese künftig auch online erstehen zu können.
Der faire Online-Handel bietet enormes Potenzial für die Anbieter von fair gehandelten Produkten - sei es mit einem eigenen Online-Shop, der Präsentation auf einem an Nachhaltigkeit orientierten Marktplatz wie beispielsweise dem Avocado-Store oder einem Händlerprofil bei den großen Plattformen des E-Commerce. Schon heute findet sich in der Kategorie Lebensmittel und Getränke bei Amazon die Produkteigenschaft „Bio & Fairtrade“. Da scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses Auswahlkriterium auf alle Produkte des Weltmarktführers im Internet-Handel anwendbar ist.
In der Schweiz ist Fair Trade noch beliebter als in Deutschland. Ein erfolgreiches Beispiel ist der Fair-Trade-Onlinehändler Faircustomer. Die Website ging 2008 online; das Warenspektrum reicht von Kleidung über Nahrungsmittel bis hin zur Wohnungseinrichtung. Die Verkäufer sind laut Eigenbeschreibung „Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Arbeitsloseninitiativen, Kooperativen aus den Ländern des Südens und Schweizer Importeure von fair gehandelten Artikeln“. In der „Über uns“-Sektion findet sich eine Liste der Händler sowie der genauen Kriterien, die diese erfüllen müssen – Transparenz groß geschrieben.
Auf der Suche nach Sinn
Hierzulande sind fast 82 Prozent der Verbraucher bereit, mehr Geld zu zahlen, wenn Angebote aus fairem Handel stammen. Zwar würden insgesamt 31 Prozent der Befragten einen Aufschlag von bis zu 20 Prozent akzeptieren – manche davon sogar bis zu 50 Prozent oder mehr. Doch die Bereitschaft, tiefer ins Portemonnaie zu greifen, hat ihre Grenzen: So sagt die Hälfte der Deutschen, ein Plus von 10 Prozent sei okay, mehr aber nicht.
Der Erfolg von Märkten basiert mehr denn je auf Verkaufskonzepten, die den Austausch zwischen Gleichen, zwischen Nutzern, Konsumenten und Produzenten zur Grundvoraussetzung haben. Das gilt insbesondere für die Vermarktung von fair gehandelten Produkten: Sie können ungleich stärker als andere vom Dialogprinzip und Storytelling profitieren. So kann die Geschichte rund um Fair-Trade-Produkte und -Marken zur Steigerung der wahrgenommenen Qualität beitragen, um einen höheren Preis zusätzlich zu rechtfertigen – vorausgesetzt, es handelt sich um ehrliche und authentische Geschichten und nicht um Märchen.
Dahinter verbirgt sich ein Trend, der immer stärker das Bewusstsein, die Einstellungen und das Konsumverhalten von Verbrauchern prägt: Sie kaufen häufiger Dinge von Unternehmen, die nicht nur Waren-, sondern auch Es gilt, den Fair-Aspekt ökosozial-korrekter Produkte in sämtlichen Branchen zum Alleinstellungsmerkmal zu machen Sinnproduzenten sind: sie suchen im Zeitalter des Massenkonsums nach einer Produktaura. Diese kann durch die Transparenz des Herstellungsprozesses, durch Handgemachtes, Unikate oder authentische Kommunikation ermöglicht werden. Es gilt, den Fair-Aspekt ökosozial-korrekter Produkte nicht nur zu betonen, sondern ihn letztendlich in sämtlichen Branchen zum Alleinstellungsmerkmal zu machen.
Der erste Fair-Trade-Shop eröffnete 1958 in den USA. Nordamerikanische Christen waren es, die die ersten Fair-Trade-Organisationen gründeten, und sie verkauften Handarbeiten, Stickereien und Produkte aus Jute. Von den welthandelspolitischen Dimensionen, die Fair Trade heute hat (und in Zukunft haben wird), waren sie noch weit entfernt, doch von Anfang an standen nicht nur gerechte Handelsbedingungen, sondern auch der Erhalt regionalen Kunsthandwerks ganz oben auf der Agenda.
Insofern stehen Unternehmen wie Kancha in einer langen Tradition. Kancha vermarktet Filz aus Kirgistan in Form von Smartphone- und Tablet-Schutzhüllen und verspricht, auf diese Weise eine Brücke zwischen den traditionellen Nomaden Kirgistans (die seit Jahrhunderten Filz herstellen) und den urbanen Nomaden der westlichen Städte zu schlagen. Jede Kancha-Tasche wird von Hand und unter fairen Bedingungen hergestellt und manuell signiert. Kancha befindet sich derzeit noch in der Funding-Phase und nutzt die Möglichkeiten der crowdbasierten Finanzierung.
Was die Wirtschaftskrise verdeutlicht: Die Nachfrage nach ethischen Konsumgütern weist nichtsdestotrotz relativ geringe Schwankungen auf. Denn gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist Sinnstiftung – auch und gerade im Konsum – ein besonders wichtiger Weg zur persönlichen Zufriedenheit. Konsumenten sind nicht auf der Suche nach dem radikal besten Preis, sondern fordern eine neue Beziehungsqualität zwischen Verbrauchern, Produkt und Herstellern. „Märkte sind Gespräche“, beschworen es schon Ende der 1990er-Jahre die Autoren des Cluetrain-Manifests und beschrieben damit das Grundmuster des Internetzeitalters. Denn was wären soziale Netzwerke ohne die Kommunikation der Nutzer? Die Vermarktung von Produkten insgesamt kann vom Dialogprinzip profitieren. Denn Geschichten sind die soziale Währung der Welt.
Während sich Unternehmen wie Apple, Ikea oder Abercrombie & Fitch eine ausschweifende, mehr oder weniger glaubwürdige Story um ihre Marke herum künstlich aufgebaut haben, haben fair gehandelte Produkte von sich aus schon eine Geschichte hinter sich. Konsumenten wollen keine Marketing-Märchen hören, deren Fassade beim näheren Betrachten starke Kratzer aufweist. Sie wollen ehrliche Geschichten, die dann auch ein märchenhaftes Happy End haben dürfen.
Fair ist das neue Bio
Ein Hinweis darauf, dass soziale Verantwortung beim Konsum mit der ökologischen gleichzieht, ja diese auf lange Sicht vielleicht sogar übertreffen wird, ist die Beliebtheit des Fair-Trade-Siegels bei jüngeren Menschen. Schon 2010 ergab eine Studie des Umweltbundesamts: „Das Bio-Siegel ist unter den jungen Leuten etwas weniger bekannt (83%; Bevölkerungsdurchschnitt 87%) und wird bei Kaufentscheidungen etwa gleich häufig beachtet (45%; Bevölkerungsdurchschnitt: 43%). Das Fair-Trade-Siegel ist innerhalb der untersuchten Altersgruppe nicht nur bekannter (61% vs. 56%), sondern hat auch einen größeren Einfluss auf Kaufentscheidungen als in der Gesamtbevölkerung (29% vs. 23%).“
„Die junge Generation ist besser als ihr Ruf“, ist Professor Gerd Michelsen, Leiter des Instituts für Umweltkommunikation der Universität Lüneburg, überzeugt. Im Nachhaltigkeitsbarometer, das er gemeinsam mit Greenpeace 2012 veröffentlichte, wird klar, dass das Umweltbewusstsein längst zum Mainstream bei Jugendlichen geworden ist. 80 Prozent der 15- bis 24-Jährigen stehen Aspekten der Nachhaltigkeit positiv gegenüber. Bislang gibt es allerdings ein großes Gefälle in der Einstellung gegenüber Nachhaltigkeit hinsichtlich des Bildungsniveaus: Junge Menschen mit höherem Bildungshintergrund und sozialem Status interessieren sich stärker für Umweltthemen. Aus diesem Grund sollte Nachhaltigkeit in den Lehrplan aller Schulen aufgenommen werden. Bisher sagen 40 Prozent der befragten Jugendlichen, sie seien schon mit Nachhaltigkeitsfragen im Unterricht in Berührung gekommen. Und es macht ihnen sogar Spaß: Zwei Drittel sind überzeugt, sie könnten das Gelernte auch außerhalb der Schule gut anwenden. Zwar motiviert das Wissen um Umweltprobleme und Nachhaltigkeitsstrategien junge Menschen nicht zwangsläufig zum aktiven, bewussten Handeln, immerhin knapp 40 Prozent lassen sich allerdings zu potenziellen Veränderern zählen.
Gerade bei Jugendlichen zeigt sich die Zerrissenheit des Verbrauchers von heute: Obwohl sie zum Beispiel um die Arbeitsbedingungen in Kleiderfabriken wissen, kaufen sie doch häufig Produkte, die unter genau diesen Bedingungen hergestellt werden. Der Grund dafür ist aber wahrscheinlich nicht Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Ökologie ist bei der jungen Generation eindeutig angekommen im fehlenden Bewusstsein, sondern in dem schmalen Geldbeutel eines durchschnittlichen Schülers zu suchen. Denn das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Ökologie ist bei der jungen Generation eindeutig angekommen. Das Entscheidende wird sein, sie mit einem erweiterten Angebot an fair gehandelten Produkten auch abzuholen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Big Player der Modebranche im großen Stil auf fair gehandelte Textilien setzt und so den Weg ebnet, damit sich das Fair-Prinzip weiter in der Handelslandschaft verankert.
Fairness prägt die Globalisierung der Zukunft
China, Indien, die Länder Südamerikas, Indonesien, Russland – die Schwellenländer sind längst zu Wirtschaftsgiganten geworden. Sie fordern ihre Rechte und ihre Mitsprache in einer neuen, multipolaren Weltordnung. Wir sind auf dem Weg, ein radikales Machtgefälle, extreme Formen der Arbeitsteilung und die überbordende Massenproduktion langsam hinter uns zu lassen. Die neue Weltordnung kann am Ende auf viele Weise fairer und gerechter sein als die alte. Beschleunigt wird dieser Prozess durch technologische Entwicklungen. Die Verbreitung von Mobiltelefonen und der Zugang zum Internet sowie die daraus resultierende globale Vernetzung setzen der exzessiven Einseitigkeit der Globalisierung ein Ende.
Asien startet, mit China an der Front, die nächste Runde der Globalisierung. Glaubt man Wissenschaftlern wie Joseph Nye, stammt inzwischen mehr als die Hälfte aller Produkte aus Asien – Tendenz stark steigend. Doch längst ist es nicht mehr nur eine reine Billigproduktions-Philosophie, die diese Länder voranbringt. Die Löhne in China steigen rapide, nicht zuletzt weil die chinesische Regierung das Konzept der „Werkbank der Welt“ überwinden möchte. Weitere Länder in Südostasien befinden sich im Umbruch, da die Menschen dort nicht mehr bereit sind, für Billiglöhne und unter katastrophalen Bedingungen zu arbeiten. Laut Ou Virak, Präsident des Menschenrechtszentrums von Kambodscha, fürchtet die Regierung seines Landes soziale Unruhen und eine Entwicklung wie den Arabischen Frühling.
China und Thailand gelten inzwischen häufig als zu teuer, Länder wie Bangladesch oder Kambodscha als zu unsicher angesichts von Negativschlagzeilen, aber auch durch anhaltende Arbeiterstreiks und Proteste. Multinationale Konzerne suchen nach neuen Standorten für die Billigproduktion – doch die Fabriken in den Nachbarländern sind bereits ausgelastet. Da die Schwellenländer nun selbst mit Innovationsprozessen beginnen, werden extreme Ausbeutungsstrategien weniger lukrativ. Das erzwingt auf Dauer echte Kooperationen. Oder es treibt Konkurrenzprozesse über den ganzen Planeten. Auch das belebt die globale Wirtschaft. Wenn auf lange Sicht Produzenten in einstigen Billiglohnländern auswählen können, mit welchen europäischen oder US-amerikanischen Konzernen sie zusammenarbeiten, verändert das die Weltwirtschaft und schafft die Bedingungen für eine gleichwertige Partnerschaft zwischen Herstellern und Abnehmern.
Fair wird zur Selbstverständlichkeit
In einer multipolaren Weltordnung hat Fair Trade nichts mehr mit Mitleid zu tun. Dass Produzenten, Abnehmer und Vermarkter auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, wird in Zukunft vielmehr selbstverständlich vorausgesetzt – nicht zuletzt von den Endverbrauchern. Kritische Konsumenten, die nicht mehr in Erste-Zweite-Dritte-Welt-Kategorien denken, treten an die Stelle politisch bewegter Globalisierungsgegner. Insofern ist der Trend zum Fair Trade nicht als Protest „gegen“ Globalisierung zu sehen, sondern wird vom Megatrend Globalisierung Der Konsument der Zukunft will Teil einer Geschichte sein mitgetragen: Die Verbraucher sind sich der gegenseitigen globalen Abhängigkeiten bewusst. Und sie werden in Zukunft mehr erwarten als Greenwashing und oberflächliches Natur-Flair: echte Qualität und die Einhaltung sozialer Standards. Längst gilt das Fair-Trade-Siegel als Garant dafür und beginnt, besonders bei jüngeren Konsumenten, zum ausschlaggebenden Kaufargument zu werden. Nur Produkte zu verbrauchen interessiert sie immer weniger. Der Konsument der Zukunft will Teil einer Geschichte sein – und aktiv zum Happy End beitragen.
Literatur
Amann, S./Dohmen, F./Hawranek, D./Klawitter, N./Nezik, A.-K./Schiessl, M./Tietz, J./Tuma, T.: Fair ist schwer. In: Der Spiegel, 09/2013
Bundesverband des Deutschen Versandhandels e.V. (bvh) (2013): Interaktiver Handel in Deutschland 2012
Fair Trade International: For Producers, with Producers. Annual Report 2011–12. 2012
Grunenberg, H./Küster, K./Rode, H.: Greenpeace Nachhaltigkeitsbarometer – Was bewegt die Jugend? Zusammenfassung. 2012
Langer, C.: Die Generation Man müsste mal. Eine Streitschrift. 2012
Messmer, S.: Rückkehr zum erhobenen Zeigefinger. In: taz, 29.9.2012
Meyer-Höfer, M.v./Spiller, A.: Anforderungen an eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft. Die Rolle des Konsumenten. In: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (Hg.): Steuerungsinstrumente für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft. Stand und Perspektiven. 2013, S. 7–15
Nestlé Deutschland AG: Nestlé Studie 2012: Das is(s)t Qualität. 2012
Nielsen: The Global, Socially-Conscious Consumer. 2012
VuMa Verbrauchs- und Medienanalyse: Was konsumierst Du? Basisinformationen für fundierte Mediaentscheidungen. 2013
Zukunftsinstitut/Westfalenhallen Dortmund: FAIR – Von der Nische zum Mainstream. 2013