Wie Createups die Kultur verändern

Mehr als Startups: Createups bestechen vor allem durch zukunftsweisende Unternehmenskulturen – von denen etablierte Organisationen viel lernen können.

Von Prof. Dr. Reinhold Rapp (Text) und Andreas Gaertner (Illustrationen) (09/2015)

Illustration: Andreas Gaertner

Das Wachstum in der Wirtschaftswelt wird nicht mehr von den etablierten Unternehmen vorangetrieben, sondern von Neugründungen. Während die erste Welle mit 20 Jahren Bestand bereits etabliert ist (die Generation der Amazons, Ebays und Googles), die zweite Welle gerade in ihr zweites Jahrzehnt wechselt (die Social-Media-Generation der Facebooks, Paypals, Skypes und Bookings), wächst mit der dritten Welle eine noch größere Schar von neuen Mitspielern heran, die alle etablierten Geschäftsmodelle bedrohen und Schritt für Schritt erneuern. Neben Uber, Xiaomi und Dropbox gibt es eine Vielzahl von jungen Unternehmen mit neuen Technologien, Managementverhalten und Vertriebs- und Marketingansätzen. So kommen die meisten dieser Vertreter der dritten Generation ohne jede klassische Werbung oder Marketing aus.

Das "Wall Street Journal" hat sich zur Aufgabe gemacht, die wertvollsten Startups im Privatbesitz in einer Art Club aufzulisten, in dem Unternehmen mit mindestens 1 Mrd. Dollar bewertet werden. Die Grundlage der Bewertung ist die letzte Investitionsrunde durch Kapitalgeber und deren dadurch erreichter Anteil. In diesem Startup-Club sind heute fast 100 Unternehmen vertreten. Die Mehrheit kommt aus dem Silicon Valley - und nur ein Drittel nicht aus den USA.

Illustration: Andreas Gaertner

Createups sind Forschungslabore 

Diese Unternehmen, die sich laut Hotspot-Gründer Dharmesh Shah als "Createups" beschreiben lassen, funktionieren in vielen Bereichen anders: Produktentwicklung, Kundenangang, Finanzierung, Mitarbeiterführung und die Rolle des Unternehmers bzw. der Gründer sind oft diametral verschieden zu etablierten Unternehmen. Sie unterscheiden sich in ihrer Kultur so sehr von den existierenden und etablierten Unternehmen, dass man beinahe von gegensätzlichen Modellen sprechen kann. 

Der Stanford-Vordenker und mehrfache Gründer Steve Blank meint, es sei ein Fehler, diese Form der Neugründungen wie ein kleines Unternehmen zu betrachten. Er sieht diese eher als Labore zur Ergründung von neuen Möglichkeiten und vergleicht sie eher mit Forschungseinrichtungen als mit herkömmlichen Wirtschaftsorganisationen.

Zudem verlassen sich diese Createups nicht auf das bestehende Geschäftsmodell. Sie drehen den Markt um: Sie versuchen in der Regel einen Mehrwert zu günstigeren Preisen zu erreichen. Beispiel Uber: den Transport mit einfacher Abrechnung und Selbstbestimmung des Fahrzeuges und Fahrers zu günstigen Kosten. Beispiel Dropbox: Speicherung im Netzwerk und Zugang über alle Hardwaregeräte in der Basisversion kostenlos. Oder Pinterest: Zugang zu den besten Fotos von anderen und kostenlose Speicherungsmöglichkeit der Pinnwände. Diese Mehrwert-Modelle zu günstigeren Preisen widersprechen oft dem Ansatz etablierter Unternehmen, durch eine Verbesserung möglichst viel im Markt mit hohen Preisen abzuschöpfen.

Etablierte Unternehmen müssen also nicht nur die eigene Denke verändern, sondern sie müssen sich mit neuen Formen und Kulturen auseinandersetzen, von Ihnen lernen, Dinge adaptieren und sich klar differenzieren, um eine Chance im Wettbewerb zu haben.

Die Kulturunterschiede der Createups

Erfolgreiche Start- und Createups verstehen sich als experimentelle Labors zur Erforschung eines neuen Geschäftsmodells und sind keine Projektteams zur Umsetzung einer Idee. Geführt werden sie von Unternehmern mit persönlichem Engagement und Risikokalkül, geleitet werden sie von einer kräftigen Vision und einer langfristigen Strategie. Sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von etablierten Unternehmen, aber der zentralste Unterschied ist wohl die Unternehmenskultur:

Illustration: Andreas Gaertner

Die Rolle des Gründers. Die jungen Unternehmer sind oft polarisierende, außergewöhnliche Persönlichkeiten, die einiges gemeinsam haben – zum Beispiel ein hohes intellektuelles Niveau und eine sehr, sehr gute Ausbildung aus Stanford oder dem MIT. Die meisten sind Ingenieure oder Physiker und bringen zusätzlich sehr gute Software-Kenntnisse mit – ganz anders als beispielsweise die europäischen Gründer. Sie sind Serial-Entrepreneure wie Elon Musk (Pay Pal, Tesla, SpaceX), manchmal extrovertiert wie Travis Kalanick (Uber), Überzeugungstäter, die etwas bewegen wollen (alle), oder einfach nur einmal mit einer Idee richtig liegen wollen (Drew Houston, Gründer von Dropbox). Mit diesem Verhalten prägen sie ihr Unternehmen und geben die Kultur vor – viel stärker als es Vorstände beispielsweise können.

Die Kraft der Vison. Im Gegensatz zu vielen Unternehmen sind Createups oft von einer mutigen Vision geleitet wie dem Transport außerhalb der Erde zu gewährleisten (SpaceX) oder das zentrale Kommunikationsmittel im Internetzeitalter zu sein (Xiaomi).

Die Arbeitsplätze. Nicht nur die Büros sehen in der Regel anders aus, sondern viele Mitarbeiter arbeiten gar nicht mehr dort. Die Arbeitszeit wird aufgeteilt in Phasen im Coffee-Shop und Restaurant, im Büro mit Menschen aus anderen Firmen oder auf der langen Busfahrt von San Francisco im Shuttle. Von der Kleidung, dem Umgangston und dem informellen und freundschaftlichen Umgang einmal ganz zu schweigen, bewegt man sich in einer ganz anderen Arbeitswelt.

Das Engagement. Die Mitarbeiter leben und brennen für die Firma und die Produktidee. Die Verschmelzung der eigenen Arbeit mit den Unternehmenszielen ist unabhängig von finanziellen Anreizen viel stärker ausgeprägt und verinnerlicht. Dadurch die Umgang viel problemlösungsorientierter und weniger durch Machtinteressen oder der Delegation von Arbeit geprägt. Eine positive Grundeinstellung des "Let’s do it" tut sein übriges.

Das Netzwerk. Während sich in europäischen Schulen selten lebenslange Netzwerke bilden, passiert es in Createup-Kreisen von Anfang an. Die Mitgründer stammen aus dem gleichen Studiengang (sei es Stanford oder MIT) oder Wohnheim, man trifft sich immer wieder in neuen Firmenkonstruktionen, die Zusammenarbeit zwischen Student, Unternehmensvertreter, Professor und Kapitalgeber ist unkompliziert und nicht von Ego oder Status geprägt. Ein wunderbares Beispiel ist die Gruppe der PayPals – die Gründer sind seit Studienzeiten zusammen und haben heute wohl das größte Netzwerk der Neugründerszene errichtet – aus dieser Gruppe kommen u.a. Tesla, Palantir, SpaceX und LinkedIn.

Es gäbe noch eine Vielzahl anderer Aspekte, die aber oft nur beobachtet und erlebt werden kann – das liegt im Wesen der Kultur.

Illustration: Andreas Gaertner

Lernen heißt: Veränderungen einleiten

Natürlich sollen und können etablierte Organisation, die oft groß, stabil und bis ins Detail organisiert sind, nicht auf Knopfdruck zu einem Createup werden. Aber sie können sich in Teilbereichen durchaus ändern und die für sie notwendigen Elemente kennenlernen und zu übertragen versuchen: eine hohe Experimentierfreude, Originalität und Individualität in der Führung, mutige und kraftvolle Visionen oder die Zusammenarbeit in Netzwerken klingen heute noch nach leeren Worthülsen oder Mode-Parolen. Aber die Unternehmen der Zukunft werden sich eher an den Createups orientierten als an den Organisationen, die noch nach dem Tayloristischen bzw. dem Modell von Max Weber nachgebaut sind. 

Daher geht es darum, diese Unternehmen und deren Kultur aus erster Hand zu erleben, den Spirit zu genießen und wichtige Elemente zu entdecken, die das eigene Verhalten in Frage stellen und zu einer nachhaltigen Veränderung führen. Natürlich müssen diese zum eigenen Ansatz passen und jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg suchen. Aber vieles spricht dafür, dass die Createups hier eine sehr erfolgreiche und perspektivenstarke Richtung gefunden haben.

Über die Autoren

Prof. Dr. Reinhold Rapp ist Keynote-Speaker des Zukunftsinstituts und Unternehmer, Investor und Berater. Zuvor war er als Professor an einer Business School in England tätig sowie als Manager für die Deutsche Lufthansa. Er berichtet ständig über neue Entwicklungen in seinem Blog „The next next thing“.

Andreas Gaertner ist Dipl.-Illustrator und als Graphic Recorder einer der Gefragtesten seines Faches. Daneben illustriert er eine Vielzahl von Medien. 

Beide arbeiten intensiv bei Veranstaltungen und Publikationen zusammen.

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