In Sachen Digitalkompetenz haben Schülerinnen und Schüler in Deutschland großen Nachholbedarf – umso wichtiger sind neue pädagogische Konzepte und Lösungsansätze. Ein Gastbeitrag von Simone Schiebold, Geschäftsführende Gesellschafterin bei FLAD & FLAD.
Wie wird Bildung zukunftsfit?
Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer Welt auf, in der digitale Technologien und Medien eine Selbstverständlichkeit sind. Vor diesem Hintergrund sollten Jugendliche eigentlich automatisch über ausreichend Digitalkompetenz verfügen und bestens auf die Anforderungen der künftigen Lebens- und Arbeitswelt vorbereitet sein. Die im November 2019 veröffentlichten Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie ICILS zeichnen ein anderes Bild: Deutsche Achtklässler erzielten im Vergleich zu Gleichaltrigen aus Dänemark oder Südkorea nur mittelmäßige Werte in Bezug auf computer- und informationsbezogene Kompetenzen.
Die Welt wird digitaler – die Bildung in Deutschland bisher nicht
Laut der Studie haben viele Jugendliche bereits Schwierigkeiten damit, online Informationen zu recherchieren und zu bewerten. Dies ist jedoch in Zeiten dynamischer digitaler Informationsflüsse über Social Media und Streaming-Plattformen essenziell. Denn ohne diese Fähigkeiten laufen gerade junge Menschen Gefahr, Fake News unreflektiert aufzusitzen.
Insbesondere im erstmals getesteten Bereich „Computational Thinking“ – der Fähigkeit zum digitalen Problemlösen – zeigt sich Nachholbedarf. Wer heute im Job erfolgreich sein will, muss Probleme korrekt erfassen und anschließend kreative, digitale Lösungen konzipieren, planen und umsetzen können – der richtige Einsatz von Algorithmen und Programmen ist hier essenziell. Zudem verändert die Digitalisierung unser gesamtes Arbeitsumfeld: Es entstehen nicht nur gänzlich neue Berufe wie Chief Digital Officer oder der Data Scientist, sondern auch bestehende Berufsbilder in Industrie, Handwerk oder im Dienstleistungssektor verändern sich massiv. So unterstützt smarte Software den Bäcker bei der Inventur und der Produktionssteuerung, Aus- und Weiterbildungen finden in virtuellen Schulungsräumen statt, und die Gesundheitswirtschaft setzt zunehmend auf Robotik und Telemedizin.
Vor diesem Hintergrund müssen Bildung und das gesamte Bildungssystem digitaler werden, um Jugendliche auf eine immer technologisiertere Wirtschafts- und Arbeitswelt vorzubereiten. Die Digitalkompetenz – insbesondere in der Informationstechnik, aber auch bei Künstlicher Intelligenz (KI) und Virtual oder Augmented Reality (VR/AR) – sollte daher im Zentrum der Anstrengungen stehen.
Nachholbedarf an deutschen Schulen
Der Europäische Referenzrahmen DigComp definiert alle Facetten heute geforderter digitaler Kompetenzen für Alltag, Beruf und Lernen. Dazu zählen auch die geschickte Auswahl von digitalen Tools, die Erstellung digitaler Inhalte sowie der Einsatz von Systemen und Maßnahmen zur Datensicherheit. Wie aber lassen sich diese Fähigkeiten im Unterricht vermitteln?
Zunächst muss die technische Infrastruktur an Schulen verbessert werden: An deutschen Schulen arbeiten im Schnitt zehn Lernende an einem IT-Gerät. Zudem muss der tägliche Einsatz der Geräte erhöht werden. Laut der ICILS-Studie leisten dies nur etwa vier Prozent der Schulen in Deutschland – in Dänemark sind es dagegen bereits 90 Prozent. Der Digitalpakt zwischen Bund und Ländern ist ein erster Schritt hin zu einer Besserung an den Schulen – er kommt aber spät. Und: Die nun geplanten Investitionen allein werden das Problem nicht lösen, da die Investitionen ausschließlich für die technische Ausstattung, nicht aber für Weiterbildung und Personal vorgesehen sind.
Ebenso wichtig ist es, innovative Lern- und Unterrichtskonzepte zu etablieren, die die Neugier der Jugendlichen wecken und wichtige Kompetenzen vermitteln – etwa in Form eines eigenen Unterrichtsfachs für ein besseres Technologieverständnis. Im Zentrum sollten Themen wie Programmieren, aber auch Robotik oder 3D-Druck stehen, um jedem Jugendlichen ein grundlegendes Verständnis über das Erarbeiten computergestützter Lösungen sowie deren gesellschaftliche Auswirkung zu vermitteln.
Spielerische Lernkonzepte für den Unterricht der Zukunft
Wie das funktionieren kann, zeigt beispielhaft die Deutsch-Skandinavische Schule in Berlin, die Lehrmethoden nutzt, wie sie in Ländern wie Dänemark oder Finnland längst üblich sind. Erst im vergangenen Jahr wurde ein eigener Maker Space mit programmierbaren Touchboards, Greenscreen, Lasercutter und 3D-Drucker eingeweiht. Auch neue Medien gehören zu den alltäglichen Hilfsmitteln – und ein Handyverbot, wie es an vielen Schulen in Deutschland üblich ist, wird sogar als Gefahr für die Digitalisierung angesehen.
Da Reformen in den Bildungsplänen nur langsam durchzusetzen sind, leisten auch außerschulische Lernorte einen wichtigen Beitrag. Beispiele dafür sind die Initiative InnoTruck des Bundesforschungsministeriums oder das Bildungsprogramm COACHING4FUTURE, initiiert durch die Baden-Württemberg Stiftung, den Arbeitgeberverband Südwestmetall und die Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit: außerschulische, berufsorientierende Angebote, bei denen junge Coaches den Jugendlichen die Herausforderungen und Chancen der Berufswelt von morgen näher bringen. Für Schülerinnen und Schüler bieten sich Berührungspunkte mit der Informatik, wenn es etwa darum geht, mit einfachen Bausteinen einen fahrenden Roboter zu bauen, der Hindernisse automatisch erkennt, oder mit einer Konstruktionssoftware ein Bauteil zu entwickeln und es anschließend am 3D-Drucker zu produzieren.
Jüngstes Herzstück von COACHING4FUTURE ist ein zweistöckiger Lern- und Erlebnis-Truck zum Thema Digitalisierung in der Arbeitswelt. Hier entdecken junge Menschen spielerisch digitale Schlüsseltechnologien wie Sensorik, kollaborative Robotik, KI oder VR. Ihr Auftrag: ein eigenes digitales Produkt erstellen und es anschließend präsentieren, zum Beispiel ein autonom fahrendes Auto oder eine Unterrichtsstunde im Jahr 2030. Dabei arbeiten sie in Kleingruppen mit modernen digitalen Medien.
Dieses an Gamification und an explorativen Lernelementen ausgerichtete Konzept bietet für den modernen Schulunterricht wegweisende Ansätze: Spielerisches Lernen stellt keine Ablenkung vom wesentlichen Lern- und Kompetenzziel dar, sondern eine Möglichkeit, die Lernmotivation der Jugendlichen zu steigern, ihnen Raum zum Experimentieren sowie zum kreativen Denken zu geben und sie zu eigenen Lösungsansätzen herauszufordern. Auf diese Weise werden genau jene Defizite im Bereich mangelnder Problemlösekompetenz adressiert, die aktuelle Bildungs- und Vergleichsstudien offenlegen.
Auch wenn solche Projekte nicht als Blaupause für den alltäglichen Unterricht dienen können: Sie zeigen beispielhaft wichtige Methoden, mit denen Lehrkräfte ihren Unterricht voranbringen und zukunftsgerichtet umsetzen können. Im Zusammenspiel mit Änderungen im Lehrplan und verbesserter technischer Infrastruktur machen sie die Bildung – und damit die Beschäftigten von morgen – fit für die Zukunft.
Über die Autorin
Simone Schiebold leitet als Geschäftsführende Gesellschafterin die Kommunikationsagentur FLAD & FLAD. Mit Bildungs- und Dialogprojekten wie COACHING4FUTURE oder der Initiative InnoTruck vermittelt die Agentur im Auftrag der öffentlichen Hand, von Stiftungen und Unternehmen komplexe Zukunftsthemen im Bereich Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Fachkräftenachwuchssicherung.