Interview mit Dominik Bösl, Corporate Innovation Manager der KUKA Group, über den Alltag in einer robotisierten, automatisierten Zukunft.
Von Dr. Daniel Dettling (09/2016)
Interview mit Dominik Bösl, Corporate Innovation Manager der KUKA Group, über den Alltag in einer robotisierten, automatisierten Zukunft.
Von Dr. Daniel Dettling (09/2016)
Trend Update: Das Zeitalter der Roboter bricht an. Für die Visionäre sind Robotik und künstliche Intelligenz eine Verheißung, für die Kritiker eine Katastrophe – wer hat Recht?
Dominik Bösl: Diese Frage ist natürlich bewusst polarisierend gestellt. Aus meiner Sicht liegt die Wahrheit dazwischen: Es gibt viele gute Gründe, warum Automatisierung in Zukunft noch wichtiger werden wird. Die globale Überalterung der Gesellschaft und der damit verbundene Arbeitskräftemangel können in einigen Bereichen nur durch Automatisierungstechnologien kompensiert werden – eine These, die durch eine Vielzahl von Studien bereits belegt ist. Natürlich bergen disruptive Technologien immer auch Risikopotenzial. Der damit verbundene Wandel führt bei einigen Menschen zu Besorgnis oder gar einer Abwehrhaltung. Das ist nichts Neues: Als die ersten Eisenbahnstrecken gebaut wurden, befürchtete man, dass der menschliche Körper eine Beschleunigung auf die immensen Geschwindigkeiten von über 20 Stundenkilometer nicht überleben könnte. Heute lächeln wir darüber – damals aber wurden spezielle Kompressionsanzüge verkauft, die Reisende schützen sollten.
Wichtig ist, dass wir in Bezug auf Robotik und Automatisierungstechnik differenzieren: Wir müssen uns für den verantwortungsvollen Umgang mit Technologie einsetzen und genau hinhören, wo die Bedenken in der Gesellschaft liegen. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht überdramatisieren und – wie Musk, Hawking und Gates – aus Angst vor einer Robocalypse erstarren. Verantwortungsvoller Umgang mit Technologie bedeutet, einen kritischen, faktenbasierten Diskurs zu führen und die Auswirkungen auf alle Gesellschaftsbereiche und auf alle Teile der Welt adäquat abzuwägen.
Wo können Sie sich in Zukunft Roboter vorstellen? Welche Branchen und Nischen werden als erstes von Robotern bevölkert?
Prinzipiell werden Robotik und Automatisierungstechnologien (dazu zähle ich auch Smart Machines, Assistenzsysteme, virtuelle Assistenten etc.) alle Lebensbereiche durchdringen und bereichern. Ich glaube fest daran, dass wir bereits "Robotic Immigrants" sind und unsere Enkelkinder als erste "Generation R", als Robotic Natives aufwachsen werden. Automatisierung wird alltäglich sein – egal ob in Form von selbstfahrenden Mobilitätslösungen, Roboter-Assistenten im Haushalt, Roboterspielzeug, automatisierten Möbeln oder vielleicht eines Tages durch einen gutmütigen Roboter-Butler, wie wir ihn schon aus der Zeichentrickserie "Die Jetsons" kennen.
Wenn wir allerdings näher ins Jetzt schauen, dann wird Robotik immer mehr den Menschen unterstützen. Zuerst wird das in der Industrie der Fall sein. Mensch-Maschine-Kollaboration, also der schutzzaunlose Roboter, wird sich durchsetzen. Von dort werden Roboter in Bereichen der sogenannten professionellen Servicerobotik Einzug halten: im Büro, in öffentlichen Gebäuden, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Diese Lösungen werden mit der Zeit immer verfügbarer und innerhalb der nächsten Jahre bereits hilfreiche Stützen werden – gerade im Reha- und Altenpflegebereich. Von dort ist der Weg in die Haushalte und zur Consumer-Robotik nicht mehr weit.
Was können Roboter besser als der Mensch, was können sie nicht?
Roboter waren bisher zu einem "tristen Leben in Käfigen" verdammt – Industrieroboter, wie sie in den letzten Jahrzehnten zum Beispiel in der Automobilindustrie eingesetzt wurden, waren große, schwere, schnelle aber auch potenziell gefährliche Maschinen. Deswegen waren bisher auch Roboter und Mensch durch einen Schutzzaun voneinander getrennt. Diese Roboter waren darauf getrimmt, sehr schnell, effizient und höchstgenau Bewegungen immer und immer wieder zu wiederholen. Sie waren nicht flexibel genug, um jetzt eine Schweißnaht zu setzen, später eine Schraube einzudrehen und danach ein Bauteil zu polieren. Dafür war jedes Mal eine neue Programmierung nötig. Die meisten Roboter waren bisher also nicht sonderlich adaptiv und können bis heute keinesfalls als kreativ oder gar intelligent bezeichnet werden. Genau das sind aber die Stärken des Menschen: unsere Wahrnehmung, die Kreativität, Erfahrung und Intelligenz. Das sind Eigenschaften, die Maschinen noch lange und vielleicht generell gar nicht abbilden werden können. Sofort verständlich wird das, wenn Sie heute versuchen, mit Ihrem Smartphone alleine per Sprachsteuerung eine möglichst ideale Reiseverbindung von Sylt nach Barcelona zu buchen – (noch?) ein Ding der Unmöglichkeit.
Wird der Mensch zum Cyborg und der Roboter zum Humanoiden?
Die Fortschritte, die in den vergangenen Jahren im Bereich der Prothetik gemacht wurden, sind schlichtweg atemberaubend: Gelähmte können wieder gehen oder greifen, und auch im Bereich des Organersatzes (Herz, Niere, Auge, Ohr etc.) hat sich sehr viel getan. Erst kürzlich hat eine querschnittsgelähmte Patientin per Gedankensteuerung einen Roboterarm bewegt und zum ersten Mal seit Jahren wieder selbstständig aus einem Glas getrunken. Das sind genau die Fälle, die mich an das Potenzial der Technologie glauben lassen, und die uns motivieren sollten, in Forschung, Entwicklung und Innovation zu investieren. Allerdings stellt sich auch die Frage, wann der erste Mensch bereit wäre, ein gesundes Bein für eine bessere Prothese einzutauschen. Im Grunde geht es wieder um verantwortungsvollen Umgang mit Technologie: Nicht alles, was vielleicht möglich ist, sollte auch gemacht werden.
Bezüglich humanoider Roboter stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit: Beine sind eine sehr spezielle Form von sehr komplexen Fortbewegungswerkzeugen. Sicherlich: Wenn es darum geht, Treppen, Schwellen oder Hindernisse zu überwinden, könnte es einen Markt für zweibeinige humanoide Roboter geben. Ansonsten sehe ich hier eher Nischenanwendungen. Was natürlich den Wunsch des Menschen nach antropomorphen Systemen angeht, handelt es sich eher um einen emotionalen und irrationalen Treiber. Wir tendieren einfach dazu, Robotersysteme zu bevorzugen, die eine menschen- oder tierähnliche Gestalt aufweisen und daher unser Gehirn nicht allzu sehr "überfordern". In der Industrie dagegen sehe ich diesen Trend zum Antropomorphismus weniger – wobei auch hier erste Systeme Gesichter bekommen, damit sie ein positives Gefühl beim Mitarbeiter hervorrufen. Spätestens, wenn Robotik aber im Alltag Einzug hält, wird es sicherlich eine Nachfrage nach "knuffigen" Systemen geben.
Der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov hat einmal die Regel formuliert, Roboter müssten immer im Dienst des Menschen handeln. Wie können wir das sicherstellen?
Das Problem mit den Asimov’schen Robotergesetzen ist, dass sie von autonom und intelligent entscheidenden Systemen ausgehen. Diesen Grad an Autonomie werden wir aber so schnell nicht erreichen. Bisher sind selbst die modernsten selbstfahrenden Autos noch meilenweit davon entfernt, selbstständig und "intelligent" Entscheidungen zu treffen. Daher werden wir für die Zwischenzeit eine Alternative benötigen. Aus meiner Sicht ist die Diskussion über Technology und Robotic Governance ein vielversprechender Ansatz. Robotic Governance möchte eine vielschichtige Diskussion der Auswirkungen von Automatisierung auf die Gesellschaft anstoßen, und zwar ethisch, moralisch, soziopolitisch, -kulturell, -ökonomisch etc. Schließlich müssen wir, wie schon angedeutet, die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit Technologie beantworten. Dazu wird es einer gewissen Form von Selbstregulierung durch die Stakeholder bedürfen. Hierzu arbeite ich aktuell im Rahmen meiner Forschungstätigkeit an der TU München an einem "Robot Manifesto", das dann hoffentlich auf breite Zustimmung stoßen wird.
Roboter bekommen keinen Mindestlohn und halten sich nicht an Regelarbeitszeiten. Wie wird die Arbeitswelt der Zukunft aussehen? Wird es überhaupt noch Arbeit geben?
Selbstverständlich wird es noch Arbeit geben – mehr als genug! Wir müssen sogar automatisieren, um dem drohenden Arbeitskräftemangel begegnen zu können. Die Arbeit der Zukunft wird ergonomischer und produktiver sein, weil der Mensch heute glücklicherweise nicht mehr "billiger Muskel" ist, wie zu Zeiten der industriellen Revolution, sondern vor allem wegen seiner perzeptiven Fähigkeiten unersetzbar ist – und sein soll! Roboter ersetzen menschliche Arbeitskraft nicht – im Gegenteil: Robotik wird den Menschen unterstützen und die Arbeit leichter, angenehmer, ergonomischer und abwechslungsreicher machen, weil sich die Mitarbeiter der Zukunft auf die anspruchsvollen Tätigkeiten konzentrieren können. Wenn überhaupt, werden wir Mitarbeiter umqualifizieren müssen. Bisher zeigen alle Studien, dass Automatisierung in den vergangenen Jahrzehnten mehr Jobs geschaffen als ersetzt hat.
Setzt KUKA im eigenen Unternehmen Roboter ein?
Ja, wir setzen in der Produktion zum Beispiel mobile Systeme wie unseren KMR iiwa ein, um Kleinteile wie Schrauben zum Mitarbeiter zu bringen. Wann immer Bauteile zur Neige gehen, erkennt dies das System und fährt zu einem automatisierten Lager, entnimmt Boxen mit den benötigten Teilen und bringt sie direkt zum Arbeitsplatz. Dabei navigiert das System autonom zwischen Maschinen, Platten und Mitarbeitern und findet selbstständig seinen Weg. Ein anderes System, ein Prototyp mit dem Namen Mail-E, kann an den Arbeitsplatz gerufen werden, nimmt in einer Postbox Briefe und Pakete auf und kann sie an einen anderen Arbeitsplatz ausliefern. Genau solche Applikationen ebnen den Weg in die Servicerobotik.
Blicken wir 30 Jahre in die Zukunft: Wo begegne ich in meinem Alltag Robotern? Welche Funktionen übernehmen intelligente Maschinen?
Robotik wird jeden Bereich unserer Arbeits- und Lebenswelt durchdringen und bereichern. Ich glaube, dass wir überall Automatisierungslösungen – sowohl in Software als auch Hardware – begegnen werden: Selbstfahrende Mobilitätslösungen werden uns helfen, von A nach B zu kommen; Post und Pakete werden automatisiert ausgeliefert; im Alter helfen uns Assistenten, möglichst lange selbstständig, mobil und aktiv in unserer gewohnten Umgebung zu leben und ohne Einschränkungen am Alltag teilzunehmen. Dabei werden die Systeme, im Gegensatz zu heute, immer unspezifischere Aufgaben übernehmen können. Wir werden nicht mehr einen Staubsaugerroboter und einen Rasenmähroboter, einen Dachrinnenreiniger, einen Fensterwischer etc. benötigen, sondern ein System wird mehrere Aufgaben erledigen. Und wer weiß: Vielleicht werden wir eines Tages doch im Haushalt von einer "Rosie" (einem Roboter-Butler oder einer Roboterhaushälterin) unterstützt – genau wie bei den Jetsons.
Das Interview führte Dr. Daniel Dettling.
Dominik Bösl ist als Corporate Innovation Manager bei der KUKA AG verantwortlich für Innovations- und Technologiemanagement. Zudem definiert er als einer der elf Technology Owner des Unternehmens die Strategie für die Bereiche "Apps, Cloud & IoT". An der TU München erforscht der Diplom-Informatiker mit Technology und Robotic Governance die Auswirkungen der Robotik und Automatisierung auf die Gesellschaft.