Häusliche Hipster: Der Cottage-Trend

Die Themen Häuslichkeit und „einfaches“ Landleben spiegeln die Sehnsüchte einer Generation, die überwiegend in der Stadt lebt und am Bildschirm arbeitet

Quelle: TREND UPDATE

DoraZett / Fotolia

Der Megatrend Urbanisierung macht die Stadt mehr denn je zu einem magischen Anziehungspunkt. Hier gibt es die Jobs und die Inspiration für eine Wirtschaft, die auf kreativen Dienstleistungen basiert. Mittlerweile leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Besonders die junge, kreative Klasse zieht es in die Stadt. Wovon sie bei ihrer Arbeit vor dem Bildschirm träumen? Nicht von der großen Karriere, sondern vom Hühnerzüchten und von selbst gezogenen Zucchini aus dem Garten. Kreative Hausarbeit, die bislang überall auf der Welt (überwiegend von Frauen) ohne Vergütung oder öffentliche Anerkennung verrichtet wurde, schafft im Web 2.0 jetzt Cash-Cow-Weblogs und kleine Stars.

Im Jahr 2011 stellte das Zukunftsinstitut einer repräsentativen Gruppe von 16- bis 35-Jährigen die Frage, ob sie lieber auf der Stadt oder auf dem Land Entschleunigung und Öko-Chic im für den jungen, urbanen Trendsetter leben würden. 44 Prozent wollten lieber auf dem Land leben, 56 Prozent bevorzugten die Stadt. Doch auf die Frage nach einer realistischen Einschätzung, wo sie in zehn Jahren voraussichtlich tatsächlich leben würden, antworteten 64 Prozent „in der Stadt“ – und nur 36 Prozent sahen sich ernstlich in einem Häuschen auf dem Land.

Stadtluft schafft Landlust

Die jungen Deutschen träumen also wohl vom Landleben, aber nur wenige ziehen wirklich dorthin. Eine Diskrepanz, die einer Idealisierung des Landlebens massiv Vorschub leistet und mit der Realität des tatsächlichen Lebens auf dem Land wenig zu tun hat. Die imaginierten Bilder gleichen sich. Das Land wird als Cottage inszeniert, als Landhaus-Idylle, glorifiziert in schönen Bildern einer Sehnsucht: dem hektischen Stadt- und Arbeitsleben entfliehen, um endlich dem „wirklichen Leben“, den Genüssen der Natur und der kreativen Hausarbeit entschleunigt zu frönen. Das Cottage wird zum Symbol eines künstlich vereinfachten, authentischen, „natürlichen“ Lebensstils, der genug Raum lässt zur Begegnung mit der Natur und genug Zeit für die schönen Dinge des Lebens. Dabei muss dieses Cottage nicht einmal wirklich existieren: Es genügt, sich über die schönen Bilder in Zeitschriften und auf Blogs dorthin zu träumen.

Das erfolgreiche Tumblr-Blog The Murmuring Cottage ist eine Serie von kunstvollen Fotografien, die die Heimeligkeit des „einfachen Landlebens“ und die Befriedigung durch kreative Hausarbeit wie Stricken, Nähen, Kochen, Backen und Gärtnern ästhetisch inszeniert. Dieses „Cottage“ ist ein reines Fantasieprodukt, doch fasst es alle Sehnsüchte des urbanen Hipsters zusammen.

Um Vintage-Wohnwagen geht es in der Frühlings-Ausgabe 2013 des Magazins Päng!, das seit 2012 auf dem Markt ist. Der Vintage-Wohnwagen-Artikel der „Päng!“ ist als Selbsterfahrungsbericht einer jüngeren Person geschrieben; passend zur urbanen Zielgruppe von 20 bis 30 Jahren sind die Bilder im gelbstichigen Hipster-Look. Entschleunigung und Öko-Chic für den jungen, urbanen Trendsetter werden in stilvollen Grafiken, auf Umweltschutzpapier und in selbstironischen Texten propagiert. Hinter dem kleinen Zeitschriftenprojekt aus Stuttgart steht kein großer Verlag; trotzdem hat „Päng!“ nach drei Ausgaben schon eine Auflage von über tausend Stück.

Das Magazin Landlust ist natürlich der Platzhirsch im Cottage-Umfeld. Seit dem erstmaligen Erscheinen 2005 steigt die Auflage ununterbrochen. Seit 2009 ist das Magazin Marktführer bei Garten- Magazinen. 2012 lag die Auflage bei über einer Million Exemplaren (Quelle: IVW). Der Überraschungserfolg des Landwirtschaftsverlags Münster zog viele Nachahmer nach sich, unter anderem den Titel „Landpartie“ des Axel Springer Verlags. Burda ließ sich 2009 den Titel „Landglück“ vorsorglich schützen. Inhaltlich geht es in der Mai/Juni-Ausgabe 2013 des bildlastigen Magazins „Landlust“ neben der Geschichte bestimmter Blumensorten, Bauanleitungen für Natursteingärten und Kochrezepten auch um die Reise eines älteren Ehepaars in einem Vintage-Wohnwagen.

Der neue Luxus: Zeit

Das Cottage wird so zum Sinnbild eines neuen Luxusverständnisses, das nicht mehr in tollen Autos, Designerklamotten oder Hochsee-Jachten besteht, sondern ganz einfach darin, Zeit zu haben. Zeit für sich, für die Gesundheit, für die Familie, für kreative Arbeit, die sich nicht finanziell lohnen muss, Zeit für Bewegung an der frischen Luft, Gartenarbeit und kreative Hausarbeit; auch Zeit mit Kindern zu verbringen wird auf diese Weise zum Statussymbol. Denn nicht den ganzen Tag am Computer zu arbeiten, sondern durch die freie Natur zu toben, Hühner zu halten und Marmelade selbst einzukochen muss man sich (zeitlich) erst mal leisten können.

Dass gerade diese „häuslichen“ Tätigkeiten zur primären Sehnsucht junger, erfolgreicher Menschen geworden sind, liegt auch daran, dass sie in der Freizeit ein Die Verwirklichung der Landlust urbaner Hipster verändert auch das Gesicht von Städten Gegengewicht zur vorwiegend digitalisierten Arbeitszeit und dem Leben in der Stadt suchen. Fehlende Arbeitsplätze, schlechte Verkehrsanbindung und mangelndes kulturelles Angebot halten junge Hochqualifizierte jedoch davon ab, tatsächlich aufs Land zu ziehen. Also werden neue Synthesen geschaffen: Das Landhaus hält Einzug in Großstädte, wo junge, hochqualifizierte Menschen leben und arbeiten. Mithilfe von Urban Gardening und Urban Farming holen sie das Fantasieprodukt „Cottage“ in die Stadt. Ob gutbürgerlich auf dem eigenen Balkon oder in Guerillamanier illegal auf brachliegenden Flächen: Die Verwirklichung der Landlust urbaner Hipster verändert auch das Gesicht von Städten.

Das Hamburger Startup Greenisfaction bietet Samenbomben fürs Guerilla Gardening an. Im Online-Versand kann man hier kleine, mit Samenkörnern gespickte Lehmkugeln bestellen, die sich wie Handgranaten auf Brachflächen, Verkehrsinseln und die Dächer leerstehender Gebäude werfen lassen. Die keimenden Blumen verschönern nicht nur die Stadt, sondern bieten etwa auch den Bienen neue Nektar-Sammelstellen. Die Greenisfaction-Seedbombs werden in Zusammenarbeit mit einer Behindertenwerkstatt gefertigt.

Unter dem Stichwort „New Domesticity“ ist in den USA bereits eine Diskussion losgebrochen, die die politischen und wirtschaftlichen Implikationen der neuen Coolness von Haus- und Gartenarbeit beleuchtet. In dem Buch „Homeward Bound“ stellt Emily Matchar die Situation in den USA folgendermaßen dar: „Mitten in den Stressfaktoren des heutigen Lebens – die Wirtschaft, der beängstigende Zustand der Umwelt, die wachsende Befürchtung, dass der amerikanische Traum sich als doch nicht so traumhaft herausgestellt hat – entschließt sich eine subkulturelle Strömung junger Frauen (und nicht weniger Männer), auf eine neue Art zu rebellieren: durch Häuslichkeit. Eine ganze Generation kluger, junger, hochgebildeter Leute verbringt ihre Zeit mit Stricken, dem Einkochen von Marmelade, Backen, Gärtnern – und dem Bloggen über diese Tätigkeiten. Sie wenden sich bereitwillig den arbeitsintensiven häuslichen Tätigkeiten zu, die ihre Mütter und Großmütter entschlossen von sich gewiesen haben.“

Die Hausfrau und das Web 2.0

Anders als in Williamsburg oder Silver Lake hört man zwar in Hamburg-Altona oder Frankfurt-Sachsenhausen noch keine Hähne krähen (tatsächlich haben amerikanische Städte ihre Gesetze zur Viehhaltung verändert, so dass in Städten jetzt Hühner gehalten werden können), doch der Trend ist in Deutschland und den USA derselbe: Geschickte Köche, Bäcker, Handarbeiter und Gärtner beiderlei Geschlechts haben jetzt die Möglichkeit, ihre Do-it-yourself-Errungenschaften zu fotografieren, in einen rosigen Instagram-Filter zu hüllen und auf eigens darauf angelegte Soziale Netzwerke hochzuladen – und massenhaft „Likes“ und „Repins“ einzufahren. Wer seine Wohnung schön eingerichtet oder einen tollen Kuchen gebacken hat, kann jetzt mit Applaus von Gleichgesinnten auf der ganzen Welt rechnen. Das Cupcake-Rezept einer Hausfrau aus Nebraska wird in Südkorea nachgebacken, und die How-To-Anleitung für den Natursteingarten aus Peru wird im Saarland nachgebaut.

Selbst die materielle Vergütung, die es für „Hausfrauentätigkeiten“ nie gab, ist kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Besonders Handarbeiten lassen sich auf großen DIY-Plattformen wie Etsy oder DaWanda vermarkten. Manche Menschen Manche finanzieren bereits ihren Lebensunterhalt mit dem Online-Verkauf selbstgemachter Kissen, Teppiche und Kleider können bereits ihren gesamten Lebensunterhalt über solche E-Commerce-Formate finanzieren, indem sie selbstgemachte Kissen, Teppiche und Kleider über das Internet nicht nur darstellen, sondern auch verkaufen. Aber auch unabhängig von E-Commerce-Plattformen fahren bloggende „Foodies“, Gärtner und Eltern zum Teil erhebliche Gewinne ein – vorrangig durch Buchverträge mit Verlagen, aber auch mit Werbung und Sponsoring in ihren Weblogs.

So hat zum Beispiel Ree Drummond, die US-amerikanische Farmersfrau, die das sehr erfolgreiche Weblog The Pioneer Woman pflegt, mit ihren Memoiren und einem Kochbuch gleich zwei Bestseller auf den Buchmarkt gebracht. Hollywood soll bereits daran arbeiten, ihre Biografie zu verfilmen.

Pinterest ist ein Soziales Netzwerk zum Teilen von Fotos. Im Jahr 2011 ist Pinterest um 4.000 Prozent gewachsen. Kochrezepte, DIY-Anleitungen, Einrichtungstipps und Garten-How-Tos sind mit den schönen Bildern verlinkt, die einen Großteil des Pinterest-Contents ausmachen.

Stress im Cottage

Der Cottage-Trend, diese neue Sehnsucht nach dem „einfachen“ Landleben und die Flucht von Männern und Frauen aus dem Karriere-Dasein in die häusliche Idylle, ist auch eine Absage an eine extrem wettbewerbsorientierte, leistungsfixierte Kultur. Gerade für junge Menschen um die 30, am Beginn der „Rush-Hour des Lebens“, bringt diese Kultur einen schwer zu bewältigenden Alltagsstress hervor. Pinterest zeigt beispielhaft, wie diese Flucht aus dem Stress in ihr Gegenteil umschlagen kann: All die wunderschönen Bilder perfekt gebackener Cupcakes, selbstgenähter Quilts und liebevoll inszenierter Kindergeburtstage setzen die Pinterest-User/-innen nun ihrerseits massiv unter Leistungsdruck. Laut einer Umfrage des Magazins TODAY Moms fühlten sich 42 Prozent der 7.000 befragten Mütter durch die Bilder auf Pinterest gestresst: Sie machen sich Sorgen, dass sie zu wenig kreativ oder handwerklich begabt sein könnten.

Literatur:

Ulrich Stock: Landlust, Landfrust. In: Die Zeit, 01.06.2011
Emily Matchar: Homeward Bound. New York 2013
Eric Gilbert, Saeideh Bakhshi, Shuo Chang, Loren Terveen: „I Need to Try This!“ A Statistical Overview of Pinterest. Georgia Institute of Technology 2013
Today MOMS: Umfrage, 2013
Päng! 04/2013
Landlust Mai/Juni 2013

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Wohnen

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Weltweit steht die Bauwirtschaft vor Jahrzehnten spannender Aufgaben. Wir benötigen neue Mobilitäts-Infrastrukturen und Energie-Landschaften, Lösungen für partikulareres und gemeinschaftliches Wohnen - viel Raum für Planer und Verwirklicher.

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