Hoffice: Über die mentale Verschmelzung von Zuhause und Arbeit

Home und Office werden eins. Aus diesem Grund braucht es nicht nur Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Gestaltung der Räume, sondern auch im Denken von Arbeitgebern und Mitarbeitern. – Ein Auszug aus dem Home Report 2021.

Von Oona Horx-Strathern

Bild: Pexels/Ekaterina Bolovtsova

Durch Corona ist ein Design-Experiment entstanden: nämlich die Integration des Büros in das Zuhause. Inzwischen lassen sich Home und Office nicht mehr voneinander trennen. Das Büro gliederte sich so sehr in das Gefüge unseres Zuhauses ein, sodass ein hybrider, verschmolzener Lebensstil entstand, den ich Hoffice nenne. Dieser Begriff impliziert einen augenzwinkernden Verweis auf das Wort „Hoffnung“. Und es erinnert an den Laut, den man von sich gibt, wenn man verzweifelt ausatmet, weil man mal wieder keinen ruhigen Raum zum Arbeiten finden kann.

In der Tat wird in Deutschland ein Recht auf Home Office diskutiert, wo zu Zeiten des ersten Lockdowns 43 Prozent der Erwerbstätigen ihren Arbeitsplatz in die eigenen vier Wände verlegten – ein Viertel arbeitete Ende März 2020 sogar ausschließlich von Zuhause aus.

Wohnen und Arbeiten wird zur Alltags-Challenge

Professor Jan Teunen, Experte für „Wirksame Räume” erklärt in seinem Buch „Officina Humana“: „Das erste „Bei einem gut funktionierenden Hoffice geht es genauso sehr um die mentale wie um die physische Distanzierung.“ Büro war ein Home Office – die Erfindung eines Mönches, dessen Zuhause ein Kloster war. Bis zur Renaissance war es üblich, zuhause zu arbeiten. Jetzt kehren wir zurück zu den Anfängen.“ Anhand der  Entwicklung im Zuge von Corona sieht er sogar die Möglichkeit zur Lösung eines grundlegenden Problems, wie er dem DEAL Magazin erklärt: „Wenn das Home Office funktioniert und eine liebevolle Atmosphäre herrscht, wird ein New-Work-Problem gelöst. Denn in der aktuellen Bürowelt erkennt man deutlich eine Krise, die durch die Dominanz wirtschaftlicher Rationalität ausgelöst wurde und zu einem Mangel an Menschlichkeit und psychischen Erkrankungen führte“.

Plötzlich von einem Tag auf den anderen von zu Hause aus zu arbeiten, war jedoch für viele eine brutale, darwinistische Lektion in Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Geduld. Und das nicht nur in physischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. Das liegt daran, dass es bei einem gut funktionierenden Hoffice genauso sehr um die mentale wie um die physische Distanzierung geht. Trendige, offene Wohnräume oder „Wohnküchen" schienen plötzlich  ein weniger cooler Hub für soziale Interaktionen zu sein, sondern eher ein Überlebensexperiment des Stärkeren (und Schnellsten). Die Top-Arbeitsplätze fanden sich in der Nähe von Routern oder in ruhigen Ecken; Schreibtische wurden besetzt oder entwendet, Privatsphäre wurde händeringend gesucht. All dies entwickelte sich zur neuen Währung in den eigenen vier Wänden und ersetzte eine Funktion, der man zuvor noch eine hohe Priorität zugeschrieben hatte: nämlich die Förderung der Kommunikation zwischen den Haushaltsmitgliedern.

 

Kreativität bei der Gestaltung des Hoffice

Von den Menschen, die während des Lockdowns von zu Hause aus arbeiteten, benötigten viele nicht nur Beratung, sondern auch neue Möbel und grundlegende Unterstützung. Denn auch wenn man zuvor noch nicht oder nur in Ausnahmefällen von zuhause aus arbeiten konnte, festigte sich der Wunsch, auch in Zukunft regelmäßig Home Office nutzen zu können. Vor der Krise arbeiteten 65 Prozent der Berufstätigen in Deutschland nicht von zuhause aus. Mehr als zwei Drittel der Befragten, die Home Office bei ihrer Tätigkeit grundsätzlich für möglich halten, wünschen sich auch künftig mehr Home Office. Kaum verwunderlich, dass die Beratungsangebote von Architekten, Innenarchitekten (und sogar Psychologen) zu Grundrissen, Möbeln und Änderungen des Lebensstils zunahmen.

Work-Life-Family-Balance

Da immer mehr Menschen immer häufiger von zu Hause aus arbeiten, sollten Unternehmen in der Lage sein, ihre eigenen Büroräume zu verkleinern und ihre Mitarbeiter finanziell zu unterstützen – entweder in Form einer Kostenübernahme von anfallenden Betriebskosten wie Internetgebühren und Heizkosten oder durch die Bereitstellung geeigneter ergonomischer Möbel, um eine gesunde Arbeitssituation zu Hause zu gewährleisten. Eine Untersuchung der internationalen Berufsakademie in Deutschland (IBA) zeigt, dass vor allem jüngere Beschäftigte unter 30 Jahren über schlecht ausgestattete Hoffice-Plätze verfügen. Rund ein Drittel der Befragten verfügt über keinen festen Arbeitsplatz, sondern wechselt stets zwischen provisorischen Orten wie beispielsweise dem Küchentisch und dem Sofa hin und her. Unter ergonomischen Gesichtspunkten betrachtet, können diese Arbeitsplätze nicht mit ihrem Äquivalent im Büro mithalten. 36 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die ergonomische Ausstattung am Büroarbeitsplatz vermissen würden. Fast die Hälfte bemängelt, dass sie keinen guten Bürostuhl besitzen, sich nicht richtig ausbreiten können und über eine schlechte technische Ausstattung an ihrem Heimarbeitsplatz verfügen.


Ein neues Denken in der Raumplanung ist durch das Hoffice wichtiger denn je. Wohnexpertin Oona Horx-Strathern spricht im Podcast über Veränderungen im Wohnen.


Das Hoffice wird jedoch nur funktionieren, wenn wir eine gute Vereinbarkeit von unserem Berufs- und Familienleben erreichen: Wir brauchen eine Work-Life-Family-Balance. Der eigentliche Grund für die Entstehung von Coworking Spaces sei das Bedürfnis nach einen Ort zum Leben und nicht nur zum Verdienst des Lebensunterhalts, frei nach der Mission von WeWork: „Create a world where people make a life and not just a living”. Es überrascht daher nicht, dass vielen Menschen zuhause der persönliche Kontakt zu den Kollegen und Kunden fehlt. Dies wirkt sich auch auf die Team- und Projektarbeit aus, die laut Aussagen der Erwerbstätigen im Hoffice ebenfalls zu kurz kommt.

Flexible Räume für psychische Freiräume

Werden wir also zum offenen Wohnen zurückkehren oder werden wir eine höhere Flexibilität anstreben? „Ein vollständiger Rückgriff auf einzelne, abgegrenzte Räume ist nicht notwendig”, meint die berühmte britische Innenarchitektin, Autorin und TV-Moderatorin Michelle Ogundehin gegenüber Dezeen. „Aber es sollte klar sein, dass die psychische Gesundheit immer leiden wird, wenn es keine Möglichkeit gibt, sich dem Strudel des Lebens zu entziehen. Dies ist eine Situation, die noch verschärft wird, wenn die ganze Familie rund um die Uhr zuhause ist”. Ihre These daher lautet: „In the future home, form will follow infection“ – sprich Häuser und Wohnungen müssen so gestaltet werden, dass die Auswirkungen des Corona-Virus gemildert werden.

Auf absehbare Zeit wird das Hoffice nicht nur für die nomadischen und flexiblen Millennials, sondern für uns alle ein wichtiger Bestandteil des Alltags sein. Das Hoffice ist gekommen, um zu bleiben – und bleibt dabei ein Work-in-Progress-Projekt. Arbeitgeber und Unternehmen müssen hierbei nicht nur Möblierungslösungen und passende Technologien, sondern auch Hilfe bei den Grundrissen anbieten. Hinzu kommt sogar eine psychologische und emotionale Unterstützung für diejenigen, die Schwierigkeiten bei der Anpassung haben oder bei denen die Situation Beziehungsprobleme auslöst. Anderen wird die Stadt zu eng und sie wollen aus der urbanen Dichte in den ländlichen Raum umziehen – auch hier bedarf es Support vonseiten der Arbeitgeber.

Vom hybriden Wohnraum zum Lebensstil

Das erfolgreiche Hoffice könnte ein remote-unterstützter hybrider Wohnraum sein, der sich unseren Gewohnheiten anpasst: Wenn wir uns neue Fähigkeiten aneignen, Möbel oder Finanzmittel beschaffen wenn sich die Familienzusammensetzung verändert oder ein neuer Partner einzieht, wandelt sich auch das Hoffice. Charles Darwin ersetzte in den 1840er Jahren die Beine seines Sessels durch die Beine eines Bettes, das Rollen hatte. So konnte er in seinem Arbeitszimmer herumrollen – und erfand wohl somit einen der ersten Bürostühle mit Rollen. Auch das Hoffice wird sich zu einem neuen Lebensstil entwickeln, für den wir viel Kreativität und Improvisationstalent an den Tag legen werden. Unsere Art und Weise zu arbeiten wird – wie so viele andere Aspekte unseres Lebens – nie mehr die gleiche sein. 


Empfehlen Sie diesen Artikel!

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Corona-Krise

Dossier: Corona-Krise

Das Corona-Virus erschüttert die Grundlagen unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinanders – auf unbestimmte Zeit. Wir erleben ein unkontrollierbares Kollabieren unseres Alltags und der Welt, wie wir sie kannten. Nun geht es darum, mit dem neuen Ausnahmemodus zurechtzukommen – auf dem Weg zur Bewältigung der Krise. Das Zukunftsinstitut hat 4 mögliche Szenarien entwickelt und zeigt mithilfe von verschiedenen Tools, wie wir mit der Krise umgehen können.

Dossier: Wohnen

Dossier: Wohnen

Weltweit steht die Bauwirtschaft vor Jahrzehnten spannender Aufgaben. Wir benötigen neue Mobilitäts-Infrastrukturen und Energie-Landschaften, Lösungen für partikulareres und gemeinschaftliches Wohnen - viel Raum für Planer und Verwirklicher.

Megatrend New Work

Megatrend New Work

Wie sieht die Zukunft von New Work aus, welche Entwicklungen treibt der Megatrend voran und wie wirkt der Wandel auf die Arbeitswelt der Zukunft?

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Oona Horx Strathern

Trendforscherin Oona Horx Strathern ist Expertin für Urbanisierung, Wohnen und Bauen. Sie beleuchtet als Keynote Speaker die Entwicklung unserer Lebensräume.