Integrated Privateness: Das Bad der Zukunft

Bäder wandeln sich vom Ort einer peinlich verborgenen Körperhygiene zu einer Zone umfassend gelebter Healthness - eine Chance für neue Konzepte

Quelle: TREND UPDATE

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So paradox es klingt: Die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt des Privaten. Wie das? Das selbstbestimmte Leben ist das Primat einer Individualisierungsgesellschaft, von außen vorgegebene und linear strukturierte Lebensläufe sind längst für niemanden mehr Realität. Der umgekehrt entstehende Entscheidungsdruck stärkt das Verlangen nach Sicherheit und Gemeinschaft, um die Komplexität des modernen Lebens verarbeiten zu können. Dieser Trend zu einem „integrierten Individualismus“ wird nun vor allem an einem Ort sichtbar, der dazu bisher kaum getaugt hatte: im Bad.

Abgeschirmt vom Rest der Wohnung, fungierte es bis in die 80er Jahre als Rückzugsort des nackten Körpers. Das Bad war der Raum, in dem man sich in Scham selbst vor der eigenen Familie verbarg. Und die „Nasszelle“ erinnerte nicht von ungefähr schon im Wort an die Beengtheit Der Wandel der Bedürfnisse hin zum „Selfness“-Ansatz förderte einen neuen Blick auf das Bad und seine überpersönlichen Funktionen eines Gefängnisses. Diese Barrieren begannen mit dem Aufkommen des Wellness-Hypes der 90er Jahre zu bröckeln. Vor allem der Wandel der Bedürfnisse hin zum „Selfness“-Ansatz förderte einen neuen Blick auf das Bad und seine überpersönlichen Funktionen, wie sich nun im erweiterten Konzept der Healthness zeigt, also einer umfassenden Betrachtung des Körpers und seiner Funktionen unter dem Begriff der Lebensenergie.

Wellness entspricht dem Lebensstil der neuen Individualisten längst nicht mehr. Sie wollen kein sporadisches Ausspannen, das nicht mehr ist als die Ausnahme in einem sonst festgefahrenen, altmodischen Modell der Privatsphäre. Für sie ist der Wellness-Faktor nur einer der Bestandteile ihres selbstorganisierten integrativen Entspannungsprogramms, das ihren Lebensstil permanent direkt zum Ausdruck bringt. Eine solche Privatsphäre mit Freunden und Familie zu teilen wird so fast zum selbstverständlichen nächsten Schritt.

Neue Badegewohnheiten

Neu in der deutschen Gesellschaft sind dabei die Rituale, die sich mit der Übernahme der Whirlpool- und Saunatradition der USA und der nordeuropäischen Länder einspielen. Das gemeinschaftliche Baden ist in den USA schon seit den 60er Jahren eine beliebte Freizeitaktivität unter Freunden und Familie. In einer sonst sozialkonservativen Gesellschaft ist dieses Phänomen überraschend. Die weiten Arme der Bade-Globalisierung reichen mittlerweile bis Deutschland – und verändern die Badegewohnheiten. Der Gang ins Bad wird immer öfter auch in Gemeinschaft angetreten. Der gemeinsame Abend mit Kumpels oder das gemütliche Ausspannen mit dem Partner verlagert sich vom langweiligen Wohnzimmersofa in den mehrsitzigen Whirlpool im Bad.

Eine andere Tradition hat ihren Ursprung in Finnland und Estland: das Saunieren. Noch heute ist es dort üblich, selbst Business-Meetings in der Sauna abzuhalten und über einem Drink und ein paar „Peitschenhieben“ (mittels zusammengebundener Birkenzweige) Strategien und Pläne zu besprechen. Auch wenn sich diese Vergemeinschaftung des Privaten in Deutschland noch nicht im gleichen Umfang durchgesetzt hat, steigt die Zahl der Saunagänger konstant. 2007 verbrachten 22,5 Millionen Deutsche ihre Freizeit in Sauna oder Dampfbad. Heute sind es 24,2 Millionen. Nach einer Studie des Deutschen Saunaverbunds besitzen 1,7 Millionen deutsche Haushalte eine eigene Sauna. Damit entsteht in Deutschland eine neue kulturelle Tradition als gemeinschaftliches Lifestyle-Phänomen. Denn Saunieren lebt von der Gemeinschaft.

So lässt sich feststellen: Die Privat- und Intimsphäre wird immer mehr geteilt, und das Bad, bisher Residuum persönlicher Abschirmung, eröffnet neue Optionen, solche Erlebnisse neu zu inszenieren. Allerdings bislang durchaus nicht mit jedermann. Ein fein abgestimmtes System an Abstufungen entsteht. Bislang haben nur die engeren Freunde und die Familie Teil an der in Gemeinschaft gelebten Privatsphäre, welche als solche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland noch undenkbar gewesen wäre. Immer mehr Angebote kommen dazu auf den Markt und zeigen, welche künftigen Nutzungen noch vorstellbar werden.

  • Durch den Monsun: Wer kennt nicht das vielbesungene Gefühl, durch den warmen Sommerregen zu spazieren, am liebsten in Anwesenheit eines geliebten Partners? Mit den sogenannten Regenduschen wird dies nun zum realistischen Szenario für das Eigenheim: das gemeinsame Duschen. Wer dies gerne in lagunenblauem oder dschungelgrünem Licht tut, liegt mit der Regendusche aus der Kollektion „Supernova“ von Dornbracht richtig. Denn sie liefert durch passende Lichtspiele zugleich auch, was man als „Mood-Manufacturing“ umschreiben könnte: die Konstruktion einer Umgebung, die dem eigenen Monsun-Dschungel-Erlebnis gleichkommen soll.
  • Entertain me!: Ähnlich ist es mit dem Baden zu zweit. Was sich in den bisher ausschließlich eingebauten Einsitzer-Badewannen anfühlte, als wolle man den Inhalt einer Kokosnuss in eine Walnussschale pressen, wird mit den neuen zweisitzigen Badewannen möglich. Denn das Arme-Beine-Knäuel gehört bei der Luxus-Badewanne von Di Vapor der Vergangenheit an. Das Baden zu zweit wird durch den Flachbildschirm am Ende der Wanne, die Whirlpool-Massage von unten sowie durch die Unterwasserbeleuchtung zum Badespaß einer neuen Kategorie.
  • Spieglein, Spieglein an der Wand: Der Spiegel „Reveal“ des Erfinders und Designers Brian House informiert den Betrachter via eingebauter Kamera über seinen Gesundheitsstatus, über das Wetter, inklusive Blick in die Innenstadt, sowie über die aktuellen Nachrichten, die man bequem durch RFID-Technik (Radio-Frequency Identification) auf sein iPhone spielen kann. Natürlich lässt sich auch einfach das Fernsehprogramm durchzappen, dank Sprachbedienung auch faul vom Badezimmer-Sofa aus.

Lustraum Badezimmer

Es gibt keinen Grund, es zu verschweigen: Das Badezimmer wird in der Zukunft immer mehr auch zum „Lustraum“. Damit greift das Badezimmer eine Tradition auf, die Geschichte hat. Im Mittelalter war das gemeinsame Baden fest mit sexuellen Spielen verbunden. In der Folge wurden öffentliche Badehäuser sogar verboten, weil sich das Treiben in ihnen nicht mehr bändigen ließ und sich Sexualkrankheiten ungehindert verbreiteten. Mit fortschreitender Individualisierung der Lebensstile im 20. Jahrhundert öffnen sich die Menschen auch im Hinblick auf alternative sexuelle Praktiken. Das Badezimmer schafft nun im beginnenden 21. Jahrhundert das richtige Umfeld zum Experimentieren. Selbstverständlich lässt sich die Liegenddusche „Horizontal Shower“ auch alleine benutzen. Mit ihren unterschiedlichen Programmen und Choreographien bietet Couches und Teppiche gehören mittlerweile zur Standardausrüstung eines modernen Bades sie verschiedene Massage- und Duschstrahlen an, durch die man die Zeit unter der Dusche zum Entspannen oder mittäglichen Powernapping benutzen kann, ohne dabei durch die Duschwand zu stürzen.

Der gemeinsame Gang in die Sauna und das anschließende Bad im Whirlpool des Freundes fordern auch einen Wandel in der architektonischen Struktur des Bades. Gerade in Deutschland ist das Badezimmer mit durchschnittlich 7,8 qm noch relativ klein. Aber die Deutschen rüsten auf: Bei Renovierern beträgt die Größe des Bades im Schnitt mit 12 qm schon fast das Doppelte. Neben Saunen und Whirlpools wird dieser Platz immer mehr auch von Polstermöbeln besetzt. Denn wer möchte schon aus der Sauna spazieren und sich auf die kalte Oberfläche einer Toilette setzen? Couches und Teppiche gehören mittlerweile zur Standardausrüstung eines modernen Bades.

Wohnen mit Wonne und Wanne

Als Folge der Neudefinition des Privaten weitet sich also das Bad in den Wohnbereich aus; öffnet sich hin zum Wohn- und Schlafzimmer. Damit folgt es dem Paradebeispiel eines anderen Raumes der Wohnung – der Küche. Getrennt vom Ess- und Wohnbereich, war die Küche jahrzehntelang die strukturelle Ausformung eines gesellschaftlichen Machtdispositivs, das die Frau an den Herd und in die Küche verbannte. Mit der sexuellen Revolution der 60er Jahre und der sukzessiven Emanzipation der Frau wandelte sich die Struktur der Küche hin zum Raum, der vollständig mit dem Ess- und Wohnbereich verschmolzen ist und sich nicht mehr durch Abgrenzungen und Barrieren an den traditionellen Rollenbildern orientiert.

Ähnlich wie die Wandlung des Frauenbilds und die damit einhergehende Öffnung der Küche zum Essbereich bedeutet ein verändertes Bild der Privatsphäre, das im Begriff der Integrated Privateness ihren Die Verbindung von Wasser- und Wohnelementen macht das Badezimmer so immer mehr zum neuen Wohnzimmer Ausdruck findet, eine Öffnung des Badezimmers zu den Wohnbereichen. Das Badezimmer orientiert sich nicht weiter am klassischen Begriff des Privaten, sondern an der Definition einer individualistischen Gesellschaft, die ihre Privatsphäre der Gemeinschaft öffnet. Wie bisher das Wohnzimmer wird das Badezimmer immer mehr auch repräsentativer Ort. Gäste lassen sich nicht mehr nur durch das Ledersofa beeindrucken, sondern durch jene Gegenstände, die den privaten Lebensstil eines selbstverwirklichten Lebens in Gemeinschaft reflektieren – gerne auch im Bad.

Er schürt gerade das Feuer im Kamin, so dass die Holzscheite nur so knacken, sie sitzt mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa daneben. Eine Szene aus dem Wohnzimmer? Mitnichten! Wie etwa die Badserie „citterio“ von Keramag zeigt, verschmilzt das Bad immer weiter mit dem Wohnraum, da eine „Integrated Privateness“ die Partner, Familie und Freunde in ihre Grenzen der Privatsphäre mit einschließt. Die Verbindung von Wasser- und Wohnelementen macht das Badezimmer so immer mehr zum neuen Wohnzimmer, wo es neben der üblichen TV-Ausstattung auch Entspannungsoptionen gibt, die das alte Wohnzimmer nicht zu erfüllen vermochte.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Wohnen

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