Angst und Glück - Gedanken über die Zukunft

Am Ende dieses turbulenten Jahres 2015 fürchten sich die Deutschen – wer hätte das gedacht? – vor der Zukunft. Wie die GfK in ihrer jüngsten Umfrage herausfand, sehen die Deutschen äußerst finster nach vorne. Warum das so ist, diskutiert Matthias Horx zum Jahresausklang.

Autor: Matthias Horx

Quelle: Trend Report 2014 - Y-Events

55 Prozent der Befragten haben Angst – gegenüber 31 Prozent vor einem Jahr. Bei den Jüngeren von 14 bis 34 Jahren sind es 42 Prozent, bei den Älteren 64 Prozent.

Das allein könnte kaum eine Meldung begründen – wenn es nicht Teil eines interessanten Paradoxes wäre. Denn gleichzeitig sind die Deutschen so glücklich wie nie! Und sie scheinen ständig glücklicher zu werden! Mehr als zwei Drittel aller Deutschen empfinden sich als “glücklich” oder “sehr glücklich”. Und diese Zahl steigt seit vielen Jahren, auch in diesem Jahr!

Wie bitte?

Kann man glücklich und angstvoll zugleich sein? Allerdings - und dahinter steckt ein mentales Muster, das erhebliche Auswirkungen auf unsere reale Zukunft hat: Angstlust!

Menschen bewerten die Zukunft nach einem komplexen inneren Algorithmus. Sie vergleichen ständig Ist- und Sollzustände, ziehen also eine Erwartungsbilanz – wobei zwei Ebenen eine Rolle spielen. Einerseits die (erwünschte) Erreichung von Sollzuständen: Erfolg, wie immer man ihn definiert. Erfolgserleben schüttet im Hirn Dopamine aus, die das Glücksbefinden, und damit die Hoffnung, steigern. Andererseits die (erhoffte) Vermeidung von Stress, Krisen, Aufwänden: Veränderungen. Unser Zukunftsgefühl spiegelt also auch unser Bedürfnis nach Komfortabilität.

Wenn Kann man glücklich und angstvoll zugleich sein? Allerdings! man im Osten Deutschlands in eher kleinstädtischen Regionen lebt (oder in prekären Stadtteilen im Ruhrgebiet), hat man in beiden Dimensionen womöglich eine negative Bilanz. Man hatte hohe Erwartungen, die nicht eingetreten sind. Und man hat gleichzeitig das Gefühl, dass sich die Welt rasend ändert – und man dabei benachteiligt wird!

An diesem Punkt entsteht der Typus des Apokalyptischen Spießers. Der denkt und fühlt immer das Schlimmste, sehnt sich aber schrecklich nach Harmonie.

Lust und Angst als Treiber

Die Kognitions- und Hirnforschung sagt uns, dass das Belohnung und Angstzentrum nahe beieinander liegen. Das hat evolutionäre Gründe – die Evolution möchte uns ja zu Aktivität anstacheln. Es heißt aber auch: Wir können Lust erleben, wenn wir Angst haben. Angst kann argumentativ gewendet werden: als Vorwurf an die Umwelt, sich nicht zu kümmern. Nichts anderes spiegelt sich in der Politiker-Verachtung: eine regressive Erwartung an Vorteile, die nicht gewährt wurden! In großen Gruppen können wir unsere Angst in Wir-Glücksgefühle umwandeln – Zorn hilft dabei. In der nächsten Stufe wird dann Angst zu Hass und Aggression, zur Abwertung anderer. Und dann folgt die Gewalt, die immer auch eine Gewalt gegen sich selbst ist.

Es ist dieselbe neuronale Drogenmischung, die den IS-Kämpfer glorios ins Paradies eingehen lässt, die den rassistischen Hetzer auf die Straße treibt. Beides funktioniert nach dem Achtsame Menschen wissen, dass sie selbst es sind, die die Welt konstruieren. Prinzip der Über-Kompensation: Das eigene Ohnmachtsgefühl wird in Gloriosität übersetzt. Nur durch Abwertung, Entmenschlichung anderer, kann man sein kaputtes Erwartungssystem (scheinbar) reparieren. Nur durch Feinde kann man sein eigenes Gleichgewicht, seine Homöostase, aufrechterhalten. Was die Konsequenzen sind, wenn dieser Drift massenhaft wird, konnten wir schon mehrmals in der Geschichte besichtigen.

Wie kann man diesen fatalen Mechanismus auflösen? Durch Achtsamkeit (mehr dazu im Zukunftsreport 2016). Achtsamkeit heißt, dass wir nicht hilflos unseren Wutgefühlen ausgesetzt sind. Dass wir unsere Angst betrachten, unsere eigenen Erwartungen reflektieren, dass wir uns selbst beim Beobachten beobachten. Achtsame Menschen wissen, dass sie selbst es sind, die die Welt konstruieren. Dass Krisen dazu da sind, uns Neues zu lehren – und dass genau darin die Idee der “Zukunft” besteht: Wandel durch Selbstwandel. Dazu braucht man kein Hochschulstudium, nur eine tiefere Humanität. 

Der andere Teil der Übung besteht im Überprüfen unseres Welt-Wissens. Die Medien bombardieren uns täglich mit einer Flut von negativen Nachrichten, die von Kontrollverlust und Katastrophen künden. Aber stellen Sie sich einmal vor, die Zukunft würde nicht von Verarmung, Chaos, Untergang, Umweltverschmutzung, Artensterben und Hunger geprägt.

Sie wäre ganz anders. Statt der so genannten X-Events – also jener Groß-Katastrophen, die sich unser Angst-Hirn ständig ausmalt – gäbe es Y-Events: verblüffende Lösungen, positive Entwicklungen, positive Trends. Wenn Sie sich in dieser Richtung produktiv irritieren wollen, empfehlen wir Ihnen unseren Trend Report Y-Events. Und schon sieht die Welt ganz anders aus.

Glücklichen Rutsch!
Matthias Horx 

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Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Zukunftsforschung

Dossier: Zukunftsforschung

Wird alles übel enden? Stehen uns Katastrophen und ökologische Zusammenbrüche bevor? Das denken heute viele, insbesondere in deutschsprachigen Kulturkreisen. Die Zukunftsforschung liefert Antworten auf diese Ängste durch neue “Modelle des scheinbar Nichtwahrscheinlichen”

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Matthias Horx

Matthias Horx ist der einflussreichste Trend- und Zukunftsforscher im D-A-CH-Raum und Experte für langfristige Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft.