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Trotz
Um eine Nutzlast in den Orbit zu befördern, muss man sie auf 29.000 Stundenkilometer beschleunigen, das 29-fache der Schallgeschwindigkeit. Eine Rakete für die Umlaufbahn hat zwischen 100.000 und 400.000 PS. Für jedes Kilo werden rund 2 Tonnen Treibstoff verbrannt, Wasserstoff und Sauerstoff, oder Kerosin, wie in den Raketen von Space X. Umweltfreundlichkeit sieht anders aus. Einmal oben, kümmert sich das All nicht die Bohne um unser Wohlergehen. 20 Sekunden Ungeschütztheit reichen, um einen Menschen gefrierzutrocknen.
Lebenserhaltungssysteme müssen perfekt funktionieren. Menschen in Schwerelosigkeit verlieren unweigerlich Muskel- und Knochensubstanz, egal wie viel sie trainieren. Die allgegenwärtige Strahlung erhöht mit jedem Tag Aufenthalt die körperlichen Risiken. Wenn die ersten Kolonisten auf Mars oder Mond alt werden, könnten sie gebrechlich und dement sein – viel früher als auf der Erde.
Wir sind für das All nicht geschaffen. Natürlich könnte man jetzt lange über gentechnische Veränderungen der menschlichen Konstitution spekulieren, über Mutanten im All und eine kommende Spezies von Übermenschen. Aber auch das ist nur eine Variante von Größenwahn.
Immerhin werden Langzeit-Astronauten Vegetarier sein, die sich überwiegend aus Gewächshäusern mit Einsatz eigener Fäkalien ernähren. Ökologischer geht es kaum.
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Heimkehr
„Oh mein Gott! Seht euch dieses Bild da an! Hier geht die Erde auf. Wow, ist das schön!“
Als der Astronaut William Anders am Heiligabend 1968 in der Enge der Kapsel von Apollo 8 den Auslöser seiner Hasselblad-500-Kamera drückt, ist er irgendwie verblüfft. Das war nicht geplant. Eigentlich soll er den Mond fotografieren, die Flächen ausfindig machen, auf denen die nächste Apollo-Mission endlich landen soll.
Das erste Foto der Erde, wie sie über dem Mond aufgeht, Earthrise, ging rund um die Welt und prangte auf dem Cover von Stewart Brands „Whole Earth Catalogue“, dem ersten Katalog der Ökologiebewegung. Das Bild begründete auch einen Begriff, der die Weltraumfahrt auf ihre kognitiven Dimensionen bezieht: der Overview-Effekt.
Wenn wir etwas Komplexes von außen sehen, verstehen wir plötzlich seine Zusammenhänge. Dies ist nichts anderes als ein neurologischer Effekt. Im Betrachten gerät unser Hirn in einen Zustand der produktiven Verwirrung. Diese kognitive Dissonanz führt zur Ausschüttung von Dopaminen, die unser Hirn dazu anregen, neue Verbindungen, Konnektome, zu bilden. Sprich: zu lernen.
Wir sehen das Holon. Grenzen, Gebäude, Mauern verschwinden, stattdessen entstehen Zusammenhänge. Wir „wundern“ uns im Wortsinn. Dabei entsteht ein spirituelles Gefühl, ein tiefes Verständnis der Verbundenheit allen Lebens.
„Wenn wir auf die Erde aus dem Weltraum herabschauen, sehen wir diesen erstaunlichen, unbeschreibbar schönen Planeten – der wie ein lebender, atmender Organismus aussieht. Aber gleichzeitig sieht sie sehr verletzlich aus … Jeder, der einmal im Weltraum war, sagt dasselbe, denn es ist sehr auffallend, sehr ernüchternd, dass diese papierdünne Schicht (die Atmosphäre) jedes lebende Wesen auf der Erde vor dem Tode bewahrt, vor der Unwirtlichkeit des Weltraums.“ (Der Astronaut Ronald Garan im Film „Overview“)
„Ich habe Astronomie und Kosmologie studiert und vollkommen verstanden, dass die Moleküle in meinem Körper, im Körper meiner Kollegen und im Raumschiff ihre Vorläufer in der Entstehung der Sterne hatten. Aus dieser Beschreibung wurde mir deutlich, dass wir Sternenstaub sind. Das war eine sehr mächtige, erhebende Erfahrung.“(Der Astronaut Edgar Mitchell im Film „Overview“ zur Apollo-14-Mission).
Vielleicht ist dies die einzig „realistische“ Aufgabe der Weltraumfahrt: eine andere Perspektive zu ermöglichen. Uns in unseren Zugehörigkeiten zu re-konstruieren. Im Flug in die Vertikale ordnen wir die Ebenen unserer Existenz neu, die Ordnungen von Familie, Gruppe bis zu „Kultur“, „Land“ und „Nation“. So konstruieren wir uns erst als Spezies, als Menschheit, selbst.
Und vielleicht ist es auch genau das, was uns das Stocken der Weltraumfahrt in den vergangenen Jahrzehnten sagen will: Die Rakete steigt in einer ewigen Parabel auf – um immer zu uns zurückkehren. Der eigentliche Grund für den Lift-off ist das Heimweh.
WE HAVE A LIFT-OFF!