Mehr als 9 Millionen Briten und Britinnen – 14 Prozent – fühlen sich immer oder oft einsam. In den USA liegt die Quote bei einem Drittel der Gesamtbevölkerung. In Japan führen viele Selbstmorde bei Älteren zur erhöhten Aufmerksamkeit auf das Thema der sozialen Vereinzelung. In den USA war es die Opiat-Sucht-Welle, die das Thema in die Medien und mehr und mehr in die Politik spülte. 2019 befragte das Meinungsforschungsinstitut Kantar Public 4.001 repräsentativ ausgewählte Personen in Deutschland, wie sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewerten, ob sie sich sozial eingebunden fühlen und was sie von der Zukunft und der Politik erwarten. Richtig einsam fühlen sich demnach rund 14 Prozent.
Zunehmend geraten bei der Debatte über Heilungsmöglichkeiten der Einsamkeit die Stadtplaner und Stadtplanerinnen ins Zentrum. Der Urbanist und Soziologe William Foote Whyte studierte schon in den 1980er-Jahren die Architekturen der öffentlichen Räume und entwickelte eine Methode namens „Triangulation“, bei der es um die Vermeidung von Einsamkeits-Ursachen und verbesserte urbane Sozialstrukturen geht. Whyte entwickelte „Settings“, in denen Menschen besser miteinander kommunizierten und sich zu Interessengruppen verbanden. Ähnliche Ansätze verfolgen seit Jahren die „Kopenhagenisten“: die humanistischen Stadtplaner der skandinavischen Städte, die inzwischen auch weltweit arbeiten, etwa Jan Gehl oder Bjarke Ingels und sein Studio BIG.
Zahlreiche Städte und Kommunen beginnen gerade, die Herausforderung Einsamkeit anzunehmen. So stellte die Stadt Frome im Südwesten Englands 550 „Community Connectors“ ein, die Menschen und Institutionen miteinander in Kontakt bringen. In Los Angeles experimentiert man mit „People Walkers“, die mit Einsamen Spaziergänge durch die Stadt unternehmen und dabei Engagements erzeugen und Initiativen vermitteln sollen. Die „smarten Städte“ der Zukunft leben weniger von Künstlicher Intelligenz und fliegenden Autos als von sozialen Intelligenzen, in denen Kieze und Quartiere als lebendige und integrative Stadtteile eine Renaissance erleben. Die Architekturen der Zukunft werden sich daran messen müssen, was sie gegen die vielleicht größte Seuche unserer Zeit bewirken können.
From Loneliness to Onlyness
In gewisser Weise ist all das nicht neu. Seit es die Moderne gibt, kursieren die Klage und Anklage der Vereinsamung. „All the lonely people, where do they all come from?“, sangen schon herzzerreißend die Beatles. Wie also ließe sich die Einsamkeit der Moderne überwinden?
Zunächst dadurch, dass wir sie akzeptieren. Einsamkeit ist ein Teil des Möglichkeitsraums der modernen Gesellschaft, in der das Ich – oder das Selbst – eine andere Rolle spielt als in der Massen- und Klassengesellschaft der alten Zeit. Mehr denn je kommt es auf „Selbsttechniken“ an – auf die Fähigkeit, sich selbst, seine Gefühle zu verstehen, zu moderieren, in Kontext zu setzen. Diese „Selfness“-Intelligenzen sind in der Individualismuskultur, die in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge des großen Wohlstandsbooms entstand, nie entwickelt worden. Die Achtsamkeitsbewegung versucht nun, Antworten auf die Lücke zu formulieren, die die Übermedialisierung und Überreizung in uns hinterlässt. In den vielen angebotenen Psychotherapien spielt heute ein reifer, erwachsener Begriff von Individualität eine zunehmende Rolle, bei dem es nicht nur um „Selbstverwirklichung“ im Sinne der Entfaltung der eigenen Wünsche geht.